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Flüchtig!

Flüchtig!

Titel: Flüchtig!
Autoren: Jonathan Kellerman
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Schuldgefühl fast gestorben.
    Sie dachte an eine Abtreibung, hatte aber Angst davor. Sie betete um eine Fehlgeburt, doch ihre Gebete wurden nicht erhört. Sie fragen die Frau, ob sie mit ihrem Liebhaber über das Problem gesprochen hat, und sie verneint, entsetzt über die Vorstellung. Er ist eine Stütze der Gesellschaft, ein Deputy-Sheriff, der in dem Kaff das Gesetz vertritt. Obendrein ist er verheiratet, und seine Frau ist selbst schwanger. Warum also zwei Familien zerstören? Außerdem hat er sie schon längere Zeit nicht mehr besucht und sich nicht mehr gemeldet, was ihren Verdacht bestärkt, daß die Beziehung von seiner Seite aus rein sexuell gewesen ist. Fühlt sie sich verlassen? O nein! Sie hat gesündigt, und nun wird sie dafür bezahlen.
    Mit dem Fetus im Leib wächst die Last ihres Geheimnisses. Sie lebt die Lüge achteinhalb Monate lang, bis sie es nicht mehr aushält. Eines Tages, als ihr Mann gerade unterwegs ist, nimmt sie den Bus und fährt nach Norden, nach Beverly Hills.
    Und nun sitzt sie in Ihrer großen, auf Hochglanz polierten, eleganten Kanzlei und ist völlig aus ihrem eigenen Element gerissen. Sie ist verwirrt und entsetzt, und die Entbindung steht in wenigen Wochen bevor. Sie hat ihre Möglichkeiten in vielen schlaflosen Nächten durchdacht und ist schließlich zu einer Entscheidung gekommen. Sie kann den Zustand nicht ertragen und will heraus. Eine schnelle, reibungslose Scheidung, ohne viele Erklärungen. Dann nichts wie weg aus dem Kaff, das Kind allein entbinden, vielleicht in Mexiko, zur Adoption freigeben und ein neues Leben beginnen, fern vom Ort ihrer Verfehlung. Sie hat von Ihnen in einer Illustrierten gelesen und ist sicher, daß Sie der richtige Mann sind für die Ihrer Meinung nach schwierige Aufgabe.
    Während Sie ihr zuhören, wird Ihnen klar, daß hier von einer schnellen und glatten Lösung nicht die Rede sein kann. Dieser Fall verspricht tatsächlich unangenehm zu werden. Das hätte Sie nicht daran gehindert, ihn zu übernehmen, denn die schwierigen Fälle bringen das meiste Honorar. Aber Emma Swope ist nicht der Typ von Mandantin, wie Sie ihn sich vorstellen. Unansehnlich und provinziell. Und vor allem: Sie riecht nicht gerade nach großem Geld.
    Sie nehmen ihren Hunderter und raten ihr von einer Inanspruchnahme Ihrer Dienste ab. Erklären ihr vielleicht, daß sie mit einem Anwalt am Ort besser bedient wäre. Emma geht, mit verheulten Augen und hochschwanger, und Sie stecken die Akte weg, haben sie bald vergessen.
    Jahre später schießt Sie jemand in den Schädel, und Sie entschließen sich, eine neue Karriere zu beginnen. Sie haben zuvor schon genug Beziehungen zum großen Geld geknüpft, das in Los Angeles fast immer auch den Rauschgifthandel einschließt. Ich weiß nicht, wer zuerst darauf gekommen ist, Sie oder einer von den großen Hintermännern, aber Sie haben sich jedenfalls entschlossen, von nun an das ganz große Geld zu machen als Mittelsmann für Koks und Heroin. Daß es sich dabei um illegale Machenschaften handelt, verstärkt für Sie noch den Reiz, denn Sie sehen sich selbst als Opfer, als einer, den das System, welchem er treu diente, im Stich gelassen hat. Der Deal mit Rauschgift ist Ihre Art, sich an der Gesellschaft, am System zu rächen. Und das Geld und die damit verbundene Macht sind auch nicht zu verachten.
    Damit das Unternehmen Erfolg hat, brauchen Sie einen Stützpunkt in der Nähe der mexikanischen Grenze und eine gute, sichere Fassade. Ihre neuen Partner schlagen eines der kleinen Städtchen im Agrarland südöstlich von San Diego vor: La Vista. Sie wissen, daß dort ein altes Kloster vor der Stadt zum Verkauf angeboten ist. Abgeschieden und still. Ihre Partner haben das Kloster schon seit einiger Zeit im Auge gehabt, doch zunächst mußte eine Möglichkeit geschaffen werden, um die Neugier der Einheimischen abzulenken. Sie betrachten die Landkarte, und dabei fällt Ihnen etwas ein. Die Kugel vor dem Gerichtsgebäude hat ihrem Gedächtnis nicht geschadet. Also zurück zu den Akten. - Wie finden Sie das bisher?«
    »Sprechen Sie weiter.« Seine Handfläche war feucht und grün; er hatte den Grasbüschel zu einem Ball zusammengepreßt.
    »Sie hören sich ein bißchen um und finden heraus, daß Emma Swope nicht zu einem anderen Anwalt gegangen ist. Ihr Besuch bei Ihnen war ein einmaliger Ausbruch, die einzige Initiative in einer ansonsten schüchternen und zurückhaltenden Existenz gewesen. Sie kehrte zu ihrem Mann zurück, schluckte ihr
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