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Flucht übers Watt

Titel: Flucht übers Watt
Autoren: dtv
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fieberhaft nach den ›Öömrangen‹. Er kann das Bild nirgends entdecken. Von überall kommen ihnen Leute mit neu erworbenem Krempel entgegen.
    |290| »Dieser bescheuerte Flohmarkt hat scheinbar früher begonnen, als auf den Plakaten ausgedruckt.«
    Plötzlich sieht er hinter einem der Tapeziertische den Mann aus der »Nordseeperle«, der dort mit der Flex aus dem Hinterzimmer gekommen war. Ohne Staubschicht sieht er vollkommen anders aus. Auf einem Tisch entdeckt Harry jetzt große Teile der Pensionseinrichtung: Das Frühstücksgeschirr und Nachttischlampen, die er wiederzuerkennen glaubt. Und das Reliefbild der »Kaiseryacht Hohenzollern«, vor blau gespachteltem Himmel. Vor dem Tapeziertisch steht ein älterer Mann mit Bauch, im Ringelhemd und Storchenbeinen in Shorts. Die braunen Socken in den Sandalen hat er stramm nach oben gezogen. Er begutachtet das Barometer mit der schmiedeeisernen Möwe.
    »Funktioniert«, sagt der Mann hinter dem Tapeziertisch.
    Der Rentner klopft misstrauisch auf das Barometer. Harry mischt sich sofort ein.
    »Sagen Sie: Haben Sie dieses Bild hier, nach dem ich suche? Aus der Pension? Die Amrumerinnen? Sie wissen schon.«
    »Nee, dat hat Heike, soviel ich weiß. Haben wir Ihnen doch schon gesagt. Sie waren neulich schon mal da? Oder?«
    »Und wo ist Heike?«, herrscht Harry den Mann an. Er ist mit seiner Geduld gegenüber dieser nordfriesischen Gemütlichkeit so ziemlich am Ende.
    »Ja wieso, Heike hat ihren Stand draußen, hinter der Halle.«
    Harry rennt sofort nach draußen. Zoe kommt kaum |291| hinterher. Vor der Halle wird er vom Sonnenlicht geblendet. Die Luft ist jetzt fast drückend. Das Licht ist gleißend. Aber im Osten steht eine dunkle Wolkenwand über Föhr. Als er um die Ecke biegt, stockt ihm fast das Blut in den Adern. Er ist für einen Moment wie gelähmt.
    Sofort erkennt er die apathische Zicke aus dem Trödelladen mit den unzähligen farbigen Kämmen im Haar, Heike. Sie reicht einem Mann ein Bild über ihren Verkaufstisch. Harry glaubt seinen Augen nicht zu trauen. Es sind tatsächlich die ›Öömrangen‹ aus der »Nordseeperle«. Es ist eindeutig das Gemälde, das über seinem Bett gehangen hatte. Die drei ziemlich freudlos dreinblickenden Frauen in Tracht beim Kirchgang. Der Mann, dem Heike das Bild übergibt, ist der Besserwisser mit der gelben Brille und dem Fahrradhelm, der schon damals hinter ihm her war. Und wahrscheinlich auch hinter dem Bild. Harry erkennt ihn jetzt ganz eindeutig. Ihm wird schwindelig, während er auf die beiden zugeht. Er muss aufpassen, dass er nicht stolpert.
    Verdammte Scheiße, sagt er zu sich selbst. Ich habe es gewusst. Ich hatte recht. Die ganze Zeit. Er war auf der Fähre bei ihrer Hinfahrt. Er war auch der Fahrradfahrer im Ort und vor der Pension. Zoe hatte versucht, ihn zu beruhigen. Er sähe Gespenster und es sei alles nur ein Zufall. Aber er hatte sich die ganze Zeit nicht getäuscht. Es war tatsächlich dieser blöde Kerl aus dem Ruhrpott.
    Als sie sich vor ein paar Tagen vor der Pension nach dem Bild erkundigt haben, fuhr er gerade den Sandweg |292| entlang. Entweder hat er mitbekommen, dass sie nach dem Bild fragten. Oder er hat sich später bei dem blonden Besen erkundigt, was Zoe und er bei ihr wollten. So muss es gewesen sein. Da war sich Harry jetzt ganz sicher. Der Typ hatte ihn schließlich vor achtzehn Jahren schon verfolgt. Er weiß von den ›Feriengästen‹. Er wusste bereits damals davon. Schon am Fischstand hatte er diese Bemerkungen über Nolde gemacht. Und dann hat er ihn auf Schritt und Tritt verfolgt. All die Jahre hatte Harry gedacht, dieser unerträgliche Besserwisser, der ihm immer zuvorkam, sei danach in der nebligen Nacht im Watt ertrunken.
    »Ist das Bild noch zu kaufen?«, fragt Harry die Trödelhändlerin. Er bemüht sich, dabei möglichst unverdächtig zu wirken. Doch er hat das Gefühl, genau das Gegenteil zu tun.
    »Is grad verkauft«, sagt Heike knapp und guckt ihn dabei triumphierend an.
    Der Mann mit der gelben Brille in der blassblauen Regenjacke tut völlig unbeteiligt. Er würdigt Harry keines Blickes. Als hätte er dessen Frage gar nicht mitbekommen. Harry sieht ihn kurz an. Aber der Typ reagiert überhaupt nicht.
    Harry starrt wie paralysiert auf das Bild. Eine der drei Frauen in Friesentracht erinnert ihn mit ihrem Haarkranz und dem strengen Blick an die Pensionswirtin Meret Boysen. Auf der Rückseite des Bildes klebt die vergilbte Zeitung: der ›Inselbote‹ mit dem Artikel
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