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Flucht übers Watt

Titel: Flucht übers Watt
Autoren: dtv
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seinem Sprung von der »Elsa« konnte es kaum werden. Er war nur froh, dass er die ›Ungemalten Bilder‹ im Briefkasten vor Peer Schmidts Haus losgeworden war.
    |281| Eine dichte Nebelschwade zog direkt über dem Boden wie durch ihn hindurch. Dann kamen über dem Dunst auf einmal Sterne heraus. Für einen Moment war ein kleiner, aber ganz klarer Ausschnitt des leuchtenden Sternenhimmels zu sehen. Im fahlen Gegenlicht des Mondes wirkte die riesige Fläche mit den Abertausenden gekräuselten Haufen der Wattwürmer wie ein fremder Planet.
    Harry drehte sich noch einmal um. Sein Verfolger war im gleichen Abstand immer noch hinter ihm. Im Mondlicht erkannte er ihn plötzlich. Es war der Mann vom Fischstand. Der Oberlehrer mit dem rotblonden Bart und den Rattenzähnen. Was wollte der Typ denn hier? Harry hatte ja gleich das Gefühl gehabt, dass der ihn im Visier hatte. Als hätte er ihn von Anfang an mit dem Kunstraub in Verbindung gebracht. Er musste dieses verdammte Arschloch loswerden. Er ging so schnell, wie der weiche Untergrund es zuließ. Hektisch stapfte er durch den dunklen Schlick und trat dabei immer wieder in scharfkantige Muscheln.
    Die Dünen der Amrumer Nordspitze waren jetzt ein ganzes Stück entfernt. In den Schwaden tauchten lang aus dem Wasser herausragende Holzstangen auf mit einem Reisigbesen an ihrer Spitze. Diese Pricken, meinte er sich zu erinnern, zeigten die Fahrrinne an. Da musste er rüber. Von einem Augenblick zum nächsten verwandelte sich die Mondlandschaft in eine Waschküche.
    Harry wurde jetzt doch etwas mulmig. Er hatte auf einmal jede Orientierung verloren. Sein Verfolger war auch nicht mehr zu sehen. Doch Harry meinte, ihn |282| zu hören. Er lauschte. Neben weit entfernten Vogelschreien war da doch das schmatzende Geräusch von Schritten im Schlick, im Nebel, wenige Meter entfernt. Eigentlich war das gar nicht möglich. So schnell konnte der Typ ihn gar nicht eingeholt haben. Nachdem er kurz stehen geblieben war, beschleunigte Harry sein Tempo noch mal.
    Nach einigen Minuten kam er an einen tieferen Priel. Kurzerhand entschloss er sich, seine Jeans und auch seine Boxershorts auszuziehen, um trockene Klamotten zu behalten. Er rollte beides zu einem Bündel zusammen und stieg in den tiefer werdenden Strom. Von dem Oberlehrer war nichts zu sehen. Endlich einmal war er der Erste, dachte Harry.
    Das Wasser war eiskalt. Es wurde mit jedem Schritt deutlich tiefer. Es ging ihm jetzt bis zu den Oberschenkeln. Aus der Ferne Richtung Föhr blitzte ein Licht auf und verschwand sofort wieder im Dunst. Die Strömung der Tide drückte ihn zur Seite. Es war schon wieder auflaufendes Wasser, wenn er sich nicht täuschte. Für einige Schritte tauchte sein Schwanz in das kalte Wasser ein. Die Kälte ging durch und durch.
    Die Tide hatte eine Kraft, mit der er nicht gerechnet hatte. Es war, als stünde er in einem reißenden Fluss. Das tiefschwarze Wasser gurgelte ihm um die Oberschenkel. Die Strömung zerrte an ihm, dass er sich kaum halten konnte, obwohl er festen Boden unter den Füßen hatte. Um ihn herum bildeten sich glucksende Strudel. Der Nebel war jetzt so dicht, dass nicht einmal die andere Seite der Fahrrinne zu sehen war.
    Nachdem er ein Stück aus dem Priel herausgekommen |283| war, wurde es gleich wieder tiefer. Das Wasser ging ihm jetzt bis zur Hüfte. In der einen Hand hielt er Hose und Schuhe. Mit der anderen versuchte er, sich die Klamotten, die er am Oberkörper trug, Anorak und Troyer, ein Stück nach oben zu ziehen, damit sie nicht nass wurden. Jetzt hatte er die Orientierung vollkommen verloren. Liefer womöglich die Fahrrinne entlang? Harry wusste nicht mehr, wohin er laufen sollte. Eigentlich musste er nur darauf achten, dass die Strömung von der Seite kam. Wo war nur der Typ mit den Rattenzähnen geblieben?
    Plötzlich war ihm, als schlang sich etwas um seine Beine. Ein Strudel in der unregelmäßigen Strömung? Nein, da war etwas Festes. Mit seinem linken Fuß verfing er sich in einem Tau oder einer Kette. Aber da war auch noch etwas Weiches. Harry bekam es mit der Angst zu tun. Er starrte auf das Wasser. Aber durch die schwarze Oberfläche war nichts zu erkennen.
    Er hatte das Gefühl, mit seinem Fuß festzuhängen. Es war eine Kette, vielleicht von einer untergegangenen Boje oder einem verlorenen Anker. Aber was war das andere? Ein Tier? Eine tote Robbe?
    Er fasste ins Wasser und fühlte einen nassen Stofflappen, den die Strömung jetzt an ihn randrückte. Auf seinen nackten
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