Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Florian der Geisterseher

Florian der Geisterseher

Titel: Florian der Geisterseher
Autoren: Oliver Hassencamp
Vom Netzwerk:
auf dem Jahrmarkt. Mir so etwas ins Gesicht zu sagen! Unglaublich.“
    „Guten Tag“, sagte Florian im Vorbeigehen laut und deutlich. Es war dieselbe Dame, die ihn gestern mit denselben Worten zum Grüßen angehalten hatte. Vor der offenen Tür von Zimmer sieben stand sie, aus dem gerade ein Mann in grauer Chauffeuruniform zwei große Koffer trug. An seiner Mütze steckte ein Abzeichen. Zwei große „R“.
    Aha! Das ist das Rolls-Royce-Reff! kombinierte Florian. Na warte! So redest du nicht ungestraft über meine Tante! Ohne Antwort auf seinen Gruß zu bekommen, ging er hinter dem Chauffeur die knarzende Treppe hinunter. In der Diele bog er jedoch nicht zur Küche ab, sondern folgte ihm weiter, vorbei an Tante Theklas Tür, wo wieder das Schild hing: Bitte nicht stören!
    Draußen, nach den fünf Steinstufen, wandte sich der Chauffeur nach rechts, an den Tischen vorbei zum Parkplatz. Da August bei einem Gast stand, verschwand Florian nach links, um die Hausecke. An der vorderen Ecke des Speisesaalanbaus sah er den Chauffeur wieder. Hinter ihm August, der ihm einen Koffer abgenommen hatte. Sie gingen zum Rolls-Royce, verstauten das Gepäck, kamen zurück und verschwanden wieder hinter der Ecke.
    Jetzt zahlt er die Rechnung! kombinierte Florian. Ein Busch, eine Forsythie, wie er aus Tante Lenes Garten wußte, stand günstig. Ohne von den Gästen unter den Pilzschirmen gesehen zu werden, erreichte er den Parkplatz, und hier stand genug Blech, um sich dahinter zu verstecken. In gebückter Haltung schlich er zum Rolls-Royce.
    Und jetzt? Was mach ich mit der teuren Kiste? überlegte Florian. Irgendeinen Denkzettel braucht die Alte!

    Wenn ich an allen vier Rädern die Luft rauslasse? Nein. Dann kommen sie sofort auf mich, weil ich hier der einzige Junge bin. Lasse ich sie aber nur an zwei Rädern raus und nur halb, denken sie, es liegt an der ungeteerten Straße! Und dann ärgert sie sich doppelt!
    Nach einem vergewissernden Blick zum Haus legte sich Florian neben das linke Hinterrad, schraubte die Schutzkappe vom Ventil, nahm einen spitzen Kieselstein und drückte damit auf den dünnen Stiel. Die Luft entwich. Als der Reifen sich auf dem Boden breitzumachen begann, wie Kartoffelbrei auf dem Teller, hörte er auf, schraubte die Schutzkappe wieder drauf und wiederholte die Prozedur nach einem weiteren vergewissernden Blick am rechten Vorderrad. Dann begab er sich im Schutz der Forsythie zum Anbau zurück. Agathe kam gerade mit vollem Tablett aus dem Haus — ein günstiger Augenblick, um durch die Hintertür in die Küche zu gelangen. Es klappte.
    Sein Frühstück war schon aufgetischt. Gierig griff er zu. In seinem Magen fehlte ja ein ganzes Abendessen. Immerhin, Agathe hatte reichlich vorgesorgt. Florian widmete sich gerade dem weichgekochten Ei, da kam sie zurück.
    „Heut geht’s wieder zu! Schnell einen Cognac!“ sagte sie, mehr zu sich selbst, und füllte ein Schwenkglas aus der großen Flasche mit den drei Sternen.
    „Fängst du auch schon an, wie der August?“ frotzelte Florian. „Quatsch!“ sagte sie. „Der ist doch nicht für mich. Frau Wimmer, die Dame mit dem Rolls-Royce, will abreisen, und jetzt ist was mit dem Wagen. Gegen den Schreck braucht sie dringend einen Cognac, die hysterische Person!“
    „So, so“, sagte Florian und frühstückte seelenruhig weiter. Jetzt nur nicht durch zu große Neugier auffallen!
    Agathe zog mit dem Cognac ab. Florian widmete sich dem Honig und den Brötchen. Seine Ruhe war keineswegs erzwungen, denn durch die offene Küchentür hörte er, was sich vorn in der Diele tat. August und der Chauffeur redeten laut von einer Reparaturwerkstätte, die herauszufinden und anzurufen sei.
    Erst als Agathe kam, um einen zweiten Cognac einzugießen, stand er auf und folgte ihr mit Abstand. Frau Wimmer saß unter einem der Pilzschirme und streckte ihre Nase beleidigt in die Gegend, während auf dem Parkplatz ihr Chauffeur mit einem Mechaniker den Rolls-Royce an den Kran des Abschleppwagens hängte. Sie hatten das linke Hinterrad mit dem linken Vorderrad vertauscht, so daß beide hintere Reifen über genug Luftdruck verfügten. Die vorderen hingen sowieso in der Luft.
    Anschließend geleitete August Frau Wimmer zum Wagen. Der Chauffeur stieg zum Mechaniker in das Abschleppfahrzeug, und unter dem Gelächter der Gäste rollte das Gespann in den Wald.
    „Man sieht“, sagte ein Herr, „auch ein Rolls-Royce ist eben nur eine Blechbüchse.“
    Gäste lachten. Es waren dieselben
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher