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Florian der Geisterseher

Florian der Geisterseher

Titel: Florian der Geisterseher
Autoren: Oliver Hassencamp
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geschlossen, und in Vollbremsung, daß die Funken stoben, querte die schwere Lok eines Trans-Europa- Expreß -Zuges die Straße.
    Florian wischte sich die Stirn ab. Mit einem Rennfahrer um den Nürburgring ist ein Pappenstiel gegen Telekinese! dachte er und rutschte auf seinem Sitz tiefer, als sei es dort sicherer.
    Tante Thekla hatte inzwischen auf dem geschlossenen Mittelstrich, der ja Überholverbot bedeutet, eine dritte Fahrspur eröffnet. Entgegenkommende blinkten und hupten verzweifelt. Wieder ließ sie das Lenkrad los, drehte sich nach hinten und vollführte mit beiden Händen die Erschreckgebärde.
    „Tante!“ Florian griff nach dem Lenkrad. Bei Tempo 130 und nahender Kurve erschien ihm das irgendwie erforderlich. Doch das Lenkrad ließ sich nicht halten. Es schlug aus wie ein Pferd. Die rechte Speiche prellte sein Handgelenk, der Wagen nahm die Kurve selbständig.
    „Ich mußte einen blenden, der meine Nummer aufschreiben wollte!“ erklärte Tante Thekla und wandte sich wieder nach vorn. „Ich weiß, daß ich der Verkehrsordnung nicht ganz entspreche, aber es geht um Sekunden.“
    Vor einem Baufahrzeug mit riesigen Rädern huschte sie in eine Lücke und gleich darauf wieder heraus. Die Straße stieg an, hinauf zu der Kuppe kurz vor Neustadt. Vor ihnen fuhren drei Omnibusse einer ausländischen Reisegesellschaft. Es kam nichts entgegen, doch konnte jeden Augenblick einer über dem Scheitel der Kuppe auftauchen. Mit Tempo 160 fuhr die Tante auf der Gegenfahrbahn bergan. Der geschlossene Mittelstrich störte sie überhaupt nicht.
    Florian konnte die Hände nicht mehr ruhig halten. Zwei Busse waren bereits überholt, neben dem dritten rasten sie auf den Scheitel zu. Da tauchte drüben ein weiterer Riese auf, ein Sattelschlepper mit Langholz.
    Rechts hinten und links vorn nur durch Millimeter vom fremden Blech getrennt, witschte die Tante nach rechts hinüber und preschte mit Vollgas das Gefälle hinunter.
    „So“, sagte sie ruhig. „Gleich haben wir's!“
    Wenn Florian gedacht hatte, in Neustadt werde der Nervenkitzel nachlassen, hatte er sich geirrt. Den Gipfel telekinetischen Amokfahrens sollte er erst in der Stadt erleben.
    „Wenn du eine Ampel auf Rot siehst, mach so!“ Tante Thekla vollführte die Erschreckgeste.
    Da kam sie schon, die erste Ampel und schaltete gerade von Grün auf Gelb. Florian winkelte den Unterarm an und spreizte im Vorschnellen die Finger. Sein Herz stand absolut still. Daß er telekinetisch begabt sei, hatte sie nie gesagt. Die Ampel schaltete weiter, zurück auf Grün. Fahrer, die gerade in die Kreuzung starten wollten, bremsten abrupt ab.
    „Sehr gut!“ Die Tante zischte zwischendurch. „Du bist mein Telesender, weißt du. Weil ich in der Stadt öfter schalten muß.“ Noch fünfmal genoß Florian das Machtgefühl, Ampeln auf Wink zu dirigieren, dann hielten sie vor der Wohnung seiner Eltern.
    „Schließ ab!“ Tante Thekla sprang heraus, Florian zog den Schlüssel ab, verriegelte die Türen und rannte hinterher.
    Die Haustür stand offen. Auf der Treppe holte er sie ein. Wie nicht anders zu erwarten, öffnete sich die Wohnungstür vor ihnen.
    Der Vater stand da. „Ihr hier?“ wunderte er sich. „Gerade wollten wir losfahren, Flori holen!“
    „Den Hauptschalter ausschalten. Schnell!“ rief die Tante und drängte sich hinein.
    „Moment“, stammelte der Vater. „Wo... wieso...?“
    Da hatte Tante Thekla schon die Tür zur Abstellkammer geöffnet und auf dem Blechkasten an der Wand den Knopf gedrückt.
    „Ich bin fertig!“ rief die Mutter vergnügt. Sie trat aus dem Schlafzimmer.
    „Wir auch!“ antwortete Tante Thekla im selben Ton. „Gott sei Dank! Hinter der Schrankwand schmort eine Leitung. In drei Minuten hätte der Schrank Feuer gefangen
    „Da wären wir schon weg gewesen!“ entgegnete die Mutter.
    „Drum sind wir auch schon da!“ antwortete Florian und fand jetzt erst Zeit aufzuatmen. „Mensch, Tante Thekla, das war die Fahrt meines Lebens!“
    „Ein Leitungsbrand?“ wunderte sich der Vater. „Woher willst du das denn wissen?“
    „Es ist in mich hineingefahren“, antwortete die Tante.
    „Na, na!“ Der Vater lächelte mitleidig. „Entschuldige. Aber das klingt doch sehr unglaubhaft!“
    Florian ging ins Schlafzimmer der Eltern und ließ seinen Zorn über Vaters Geschwätz an der Schrankwand aus. Er zog das Riesenmöbel von der Mauer weg und rief: „Dann seht euch das mal an!“
    In der Mitte der Wand, wo eine alte Leitung knapp unter dem
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