Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Florian der Geisterseher

Florian der Geisterseher

Titel: Florian der Geisterseher
Autoren: Oliver Hassencamp
Vom Netzwerk:
wirst dich zurechtfinden in dieser Welt. Aber...“ Sie machte eine Pause, die ihm ewig vorkam. Mindestens so lang wie ein Schuljahr. „Aber...“, wiederholte sie, „ich sehe dein Leben natürlich. Doch ich darf dir nichts sagen! Charlie winkt entschieden ab. Er läßt dich übrigens grüßen. Und dein Urgroßvater mütterlicherseits läßt dir ausrichten, er war in Mathematik noch schlechter als du! Doch, was dich betrifft, so sollst du, wie gesagt, noch nichts voraus wissen! Du sollst dich erst bewähren wie jeder andere. Unter denselben Bedingungen! Das Schicksal hält noch keinen Wink für dich bereit.“ Tante Thekla nahm die Fingerspitzen von den Schläfen; die grünen Augen sahen ihn an. „Ja“, bestätigte sie. „Jetzt hast du’s erlebt. Hellsehen ist kein Spielzeug, kein Radio, das man einschaltet, keine erweiterte Freiheit, kein Sprungbrett zu Macht und Reichtum, sondern eine Verpflichtung. Ich kann nicht sagen, was ich will, ich kann nur sagen, was ich darf. Ja, Flori . So ist das. Moment...“ Noch einmal legte sie die Fingerspitzen an die Schläfen, starrte kurz auf die Kristallkugel, erhob sich dann unvermittelt und rief: „Komm sofort!“
    Sie lief aus dem Haus, rief August etwas zu. Der rannte zur Garage und öffnete das Tor. Ehe Florian dazu kam, zu fragen, was denn los sei, saß er neben ihr im Wagen, und ein Abenteuer begann, das er seiner Lebtag nicht vergessen würde.
    Schon wie die Tante rückwärts aus der Garage schoß, auf Zentimeter vor einem geparkten Wagen anhielt, den ersten Gang einlegte und driftend millimeternah an einem anderen Wagen vorbei in die schmale Waldstraße einbog, das war das glatte Gegenteil zur Fahrweise seines Vaters.
    Florian schnallte sich an. Nicht zu früh, denn was seine Tante ihm jetzt bot, das hatte er noch in keinem Krimi gesehen, geschweige denn als Beteiligter miterlebt!
    Kaum waren sie im Wald, bog Tante Thekla von der Straße in einen Holzweg ab, auf dem in tiefen Traktorspuren noch das Wasser stand. Es spritzte, schaukelte, der Wagen federte durch und schlingerte knapp an den Bäumen vorbei.
    „Halt dich gut fest!“ sagte Tante Thekla seelenruhig und drehte vor einer Rechtskurve das Lenkrad voll nach links. Quer kam der Wagen vom Weg ab, rutschte zwischen zwei Bäumen hindurch. Ohne den Fuß vom Gaspedal zu nehmen, drehte die Tante spielerisch am Lenkrad, als fahre sie die Nachtprüfung der Rallye Monte Carlo durch die vereisten Seealpen.
    Florian stieß gegen das Dach und sah durch das rechte Seitenfenster einen Baum quer über dem Holzweg liegen. Tante Thekla mußte ihn vorausgesehen haben, denn jetzt ließ sie das Lenkrad los, der Wagen schaukelte auf und nieder wie ein Küstenboot und schleuderte in die Fahrrinnen des Holzweges zurück.
    „Ich muß abkürzen“, sagte sie. „Es geht um Sekunden!“ Zu fragen, warum es um Sekunden gehe, dazu kam Florian nicht. Er sah die Tachometernadel auf 120 klettern und voraus die spitzwinkelige Einmündung des morastigen Weges in die geteerte Hauptstraße, auf der reger Verkehr herrschte. Mit steigender Geschwindigkeit raste die Tante auf die unübersichtliche Einmündung zu. Auf den letzten Metern stieg der Holzweg an. Mit allen vier Rädern in der Luft flog der Wagen zwischen zwei Lastzügen, einer von rechts, einer von links, in die Hauptstraße und landete erst nach dem Mittelstrich, daß die Reifen in den Radkästen pfiffen.
    Florian hatte Mühe, sich zu konzentrieren. Wenn Lehrer Hempel musikalisch fährt, dann ist meine Tante Beethoven am Steuer! Aber es kann nichts passieren, sie ist in Trance! kombinierte er, während sein Herz zweihundertmal in der Minute schlug und gleichzeitig Stillstand.
    „Halt! Halt!“ rief sie plötzlich auf der linken Seite mitten in einer Massenüberholung bei Tempo 150, nahm die Hände vom Lenkrad, streckte die Arme durch und spreizte dabei die Finger, wie Kinder das tun, wenn sie jemand erschrecken wollen.

    „Was ist, Tante Thekla?“ Florian hielt sich an seinem Gurt fest.
    „Ich mußte die Notbremse ziehen!“ erklärte die Tante ruhig. Voraus war nach einer Kurve ein Bahnübergang zu sehen. Die Schranken sperrten die Straße. Mit unverminderter Geschwindigkeit raste sie an der Schlange stehender Fahrzeuge vorbei auf die geschlossene Schranke zu, vollführte dabei noch einmal die Erschreckbewegung mit Armen und Hunden. Im letzten Augenblick hoben sich die Schrankenarme, und sie witschten drunter durch.
    Florian drehte sich um. Die Schranken hatten sich wieder
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher