Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fleischeslust - Erzaehlungen

Fleischeslust - Erzaehlungen

Titel: Fleischeslust - Erzaehlungen
Autoren: T. C. Boyle
Vom Netzwerk:
ein paar Schattenstreifen finden.
    Von Anfang an, schon als sie noch bei Gin Tonics auf das Nachlassen der Hitze gewartet hatten, war Bender merklich nervös gewesen. Der Mann konnte nicht stillsitzen, plapperte die ganze Zeit von notariellen Vereinbarungen, Besitztiteln und solchen Sachen, dabei zupfte er sich ständig an den Lippen, den Ohren und der Zunge, wie beim Baseball der Trainer am dritten Mal, der Zeichen von der Bank bekommt. Es waren die Nerven, keine Frage: Bernard hatte schon genug Freizeitcowboys hier herausgebracht, und er merkte sofort, wenn ein Typ im Geiste seine Männlichkeit an diesem großen gelbbraunen Vieh maß, das durch seine Phantasie pirschte. Der eine damals – Fernsehschauspieler; schwul vermutlich auch – war derartig aufgekratzt gewesen, daß er zuviel Gin erwischte und sich anpißte, bevor sie auch nur den Jeep angelassen hatten. Bernard hatte ihn seitdem hundertmal in der Glotze gesehen, so ein hünenhafter, muskulöser Typ mit gespaltenem Kinn und blitzenden Augen, der ständig Gangstern die Fresse polierte und Frauen den Arm um die Hüfte schlang, aber er würde nie vergessen, wie diesem Typ die Augen in die Höhlen gerutscht waren, als der Pissefleck sich vom Schritt auf die Oberschenkel und noch weiter ausgebreitet hatte. Er warf einen Blick auf Bender und wußte: da war Ärger im Busch.
    Sie hatten sich auf elfeinhalbtausend Dollar für ein großes Männchen mit Mähne geeinigt; fünfhundert hatte Bernard ihnen nachgelassen, für die beiden Extrazebras und weil er ihnen ein bißchen entgegenkommen wollte. An Männchen von nennenswerter Größe hatte er nur Claude, der seinerzeit eine beachtliche Erscheinung gewesen sein mochte, aber inzwischen war er das, was bei Löwen einem Neunzigjährigen entsprach, der sich in einem Pflegeheim von Breikost ernährte. Bernard hatte ihn für einen Pappenstiel von einem verflohten Zirkus in Guadalajara abgestaubt, und schon damals mußte er fünfundzwanzig Jahre alt gewesen sein, wenn nicht älter. Jetzt war er halb blind, stank wie ein lebender Leichnam, und die Backenzähne in seinem linken Unterkiefer waren so verfault, daß er beim Fressen laut aufheulte. Aber das Aussehen stimmte, vor allem von weitem; er hatte noch etwas von dem Fleisch auf den Knochen, das er in besseren Jahren zugelegt hatte – und die Zahnschmerzen machten ihn launisch, ja jähzornig. Er wäre eine gute Wahl, hatte Bernard gefunden. Eine hervorragende Wahl.
    Und Bender? Der stand in einem Morast aus toten schwarzen Ästen, stocksteif und am ganzen Leibe bibbernd, als ob er in Eiswasser badete, und der Löwe ging auf ihn los. Der erste Schuß prallte in etwa siebzig Meter Entfernung vom Boden ab und zerfetzte Claudes linke Hinterpfote, und darauf ertönte ein Gebrüll von dermaßen purer, wilder, Eingeweide zerreißender, Knochen zermalmender Wut, daß Bender, dieser Idiot, beinahe sein Gewehr fallen ließ. Zumindest sah es von dort so aus, wo Bernard mit der Ehefrau und Roland stand, fünfzehn Meter weiter hinten und etwas rechts. Claude war eine echte Überraschung. Anstatt in sich zusammenzusinken und durchs Gebüsch davonzuschleichen, griff er an, wirbelte die Erde auf und brüllte dabei, als stünde er in Flammen – und Bender zuckte und zappelte und zitterte so stark, daß er nicht mal die Längsseite eines Bierwagens getroffen hätte. Bernard spürte das eigene Herz pochen, als er die Nitro an die Schulter hob, dann krachte es ohrenbetäubend, und der alte Claude sah plötzlich wie ein zusammengeknüllter Teppich aus, über den jemand einen Eimer voll Hackfleisch geschüttet hatte.
    Bender wandte sich mit bleichem Gesicht um. »Was zum...?« stammelte er, und dabei zog er an seinen Fingergelenken und fuchtelte mit den Händen herum. »Was glauben Sie eigentlich, was Sie da tun?«
    Das war Bernards Moment. Hoch über ihnen zog ein Düsenflieger vorbei, Richtung Nordwesten, eine silberne Niete am Himmel. Es herrschte absolute, unsägliche Stille. Die Ehefrau sparte sich jeden Kommentar, die übrigen Löwen kauerten irgendwo im Gras, und jeder Vogel auf der Ranch hielt im ersterbenden Nachhall dieser grollenden Kanonade den Atem an. »Ihnen verdammt noch mal das Leben retten«, knurrte Bernard, schwitzend, angewidert und stocksauer, aber – wie immer – stolz auf seine britische Ausdrucksweise.
    Mike Bender war wütend – zu wütend, um sein geräuchertes Sonstwas, den Toast aus der Pfanne und die schlabbrigen Eier zu essen. Und gab’s hier keinen Kaffee,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher