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Fleischeslust - Erzaehlungen

Fleischeslust - Erzaehlungen

Titel: Fleischeslust - Erzaehlungen
Autoren: T. C. Boyle
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jede Rückzugsmöglichkeit, und der Löwe ging auf ihn los – mit so unverfälschter Bosheit, wie es Bernard in seinen vierzehn Jahren als Eigentümer von »Puffs Afrika-Großwildranch« noch nicht erlebt hatte. Und während Bernard noch überlegte, ob er eingreifen sollte – so etwas machte danach immer böses Blut –, war Mrs. Bender nur einen Herzschlag davon entfernt, zur trauernden Witwe zu werden, und die Versicherungsprämien für die Ranch wären ins Unendliche explodiert, ganz abgesehen von den Schadenersatzklagen. Es war ein schicksalhafter Moment, kein Zweifel.
    Am Abend vorher, nachdem die Benders zu Bett gegangen waren, hatte Bernard Espinoza losgeschickt, um die Löwen ein wenig aufzustacheln und sie freizulassen – ohne ihr Abendessen. Das brachte sie immer in Rage, ganz egal, wie alt, zahnlos und verkalkt sie sein mochten. Eine Nacht ohne Pferdefleisch, und sie wurden wild wie sonstwas. Für Bernard war das reine Routine. Die Gäste sollen was kriegen für ihr Geld, war sein Motto. Falls sie ahnten, daß die Löwen neunundneunzig Prozent der Zeit im Käfig hockten, ließen sie sich jedenfalls nichts anmerken – ihres Wissens lebte das Wild draußen im Freien, zwischen den dürregeplagten Mandelbäumen und den getarnten Ölpumpen. Und außerdem konnten sie ja nirgendwohin – das gesamte Gelände war von einem sechs Meter tiefen Graben umschlossen, hinter dem sich ein vier Meter hoher Elektrozaun erhob. Also kehrten diejenigen, die seine Gäste nicht durchlöcherten, nach ein oder zwei Tagen in ihre Käfige zurück und brüllten sich die leeren Bäuche nach Pferdefleisch und Innereien aus dem Leib.
    Am Morgen, nach einem Frühstück aus geräucherten Heringen und Ei – die Tochter schlief noch fest –, war Bernard mit seinen Gästen auf Zebrajagd gegangen. Sie waren zum Wasserloch rausgefahren – ein ehemaliger Swimmingpool mit Olympiaabmessungen, den Bernard bepflanzt hatte, damit er schön natürlich aussah –, und nach einigen Debatten über den Preis hatte sich Bender – beziehungsweise seine Frau – für fünf Stück entschieden. Das war schon eine, diese Nicole Bender. Gutaussehende Frau, wie Bernard noch selten eine gesehen hatte – und ein besserer Schütze als ihr Mann. Sie erwischte zwei Zebras aus hundertvierzig Meter Entfernung und ließ dabei die Felle fast unversehrt. »Na, Sie können vielleicht schießen, Lady«, sagte Bernard, während sie auf das erste der erlegten Zebras zuschlenderten.
    Das Zebra lag unter der stechenden Sonne auf der Seite, und schon sammelten sich die ersten Fliegen. Bender kauerte nicht weit von ihnen über einem anderen Kadaver und untersuchte ihn nach Einschußlöchern, Roland schärfte im Jeep das Messer zum Abhäuten. In den Hügeln stieß einer der hungrigen Löwen ein grimmiges Gebrüll aus.
    Nicole lächelte ihn an. Sie war hübsch – verdammt hübsch – in ihrer Shorts von Banana Republic und der Safaribluse. »Ich tu mein Bestes«, sagte sie und knöpfte sich dabei die Bluse auf, um ihm das Schmuckstück an ihrem pfirsichfarbenen Bustier zu zeigen: eine goldene Brosche in Form eines Gewehrs. Er mußte sich dicht heranbeugen, um die Gravur zu lesen: Nicole Bender, Scharfschützenpreis der National Rifle Association 1989.
    Danach gab es das Mittagessen, anschließend machten sie eine Siesta, gefolgt von Gin Tonics und ein paar Runden Canasta, um die Nachmittagsstunden totzuschlagen. Bernard tat, was er konnte, um die Lady bei Laune zu halten, und das nicht nur aus Geschäftsinteresse: da war etwas – etwas, das heiß und heftig unter ihrer Maske aus Rouge und Eyeliner und den üppigen Kollagenlippen pulsierte, und dieser Kraft konnte er sich einfach nicht entziehen. Es war hart gewesen, seit Stella Rae ihn verlassen hatte, und er nahm alles mit, was sich so bot – so etwas konnte in dem Job eben auch vorkommen.
    Auf jeden Fall nahmen sie den Jeep Wrangler, packten eine Kühlbox mit Bier, Benders 9,5-Millimeter-Gewehr von Holland&Holland und die 11,65-Millimeter-Winchester Magnum der Lady ein, dazu Bernards eigenen Bärentöter – die Fünfzehneinviertel-Nitro –, und fuhren hinaus, wo die knorrigen dunklen Äste des toten Obstgartens am Ende der Ranch die Hügel bedeckten. Dorthin zogen sich die Löwen immer zurück, wenn man sie freiließ. Es gab da einen kleinen Flußlauf – zeitweise ein reißender Wildbach, momentan kaum mehr als ein Rinnsal. Aber sie konnten dort trinken, sich im Gras wälzen und unter den nackten Ästen der Bäume
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