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Flegeljahre am Rhein

Flegeljahre am Rhein

Titel: Flegeljahre am Rhein
Autoren: Bernd Ruland
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schön, aber selbstverständlich. Darf ich noch behilflich sein, hier, der Stock, der Hut... auf Wiedersehen.
    Balduin ist an der frischen Luft.
    Da hinten hupt ein Auto.
    Vorsichtig, da kommt eine Stufe, jetzt rechts, dann links und geradeaus. Balduin findet sich schon zurecht. Einmal links geneigt, einmal rechts geneigt — aber es geht. Nicht vorne überfallen, so — ja.
    Und schon ist er auf der Straße nach Rheinstadt. Bis dort sind es knapp zwei Kilometer. Eine Kleinigkeit. Aber fragt jetzt mal Balduin, ob das immer eine Kleinigkeit ist!
    Da ist ja schon die große Bogenlampe. Da liegt schon das Katasteramt. Da kommt die Wasserstraße. Hier, jetzt abbiegen, Peterstraße.
    Eine sogenannte bessere Straße ist die Peterstraße. Hier stehen hübsche kleine Häuser. Das Haus Nummer 7a wollte nicht gleich an der Straße stehen und ließ sich Blumen und Sträucher vor die Nase setzen. Schön mit einem Gitter. Mit einem buntgestrichenen Törchen in diesem Gitter. Jawohl, diese Peterstraße ist wirklich eine bessere Straße. Und ihre Hausnummer 7a, das ist wahrhaftig ein besseres Haus.
    Balduin wird gleich in sein Bett fallen. Er macht die letzten Schritte bis zum Gartentörchen besonders schnell. Da scheint etwas nicht zu stimmen. Da scheint doch — nanu, was ist denn das für eine... Das Törchen versperrt? Balduin packt kräftig die Klinke, drückt sie ganz tief nieder, stemmt sich mit dem Gewicht seines Körpers gegen die Staketen des Törchens. Vergebens. Geschlossen. Einfach zu.
    Balduin versucht es noch einmal. Nichts zu machen. Es bleibt dabei: Das Törchen ist abgeschlossen. Einen Schlüssel? Woher! Das Törchen wird doch nie zugemacht, und es gibt nur einen Schlüssel von seinem Schloß. Der hängt hinter der Küchentür — da, wo Emma auch die Kleiderbürste untergebracht hat. Balduin glaubt ihn baumeln zu sehen...
    Der Wind weht durch die Bäume. Er singt zwischen den Blättern eine tiefe, unheimliche Melodie. Wenn ihn einer hier sieht! Was sollen denn die Leute denken? Wenn nun jetzt der Herr Amtsgerichtsrat von nebenan, Peterstraße 7, noch nicht zu Hause wäre, jetzt eben käme und ihn hier sähe... nein, das ist ja nicht...
    Noch einmal packt Balduin kräftig die Klinke an. Es kann nicht sein, es darf ja nicht sein, daß sein Törchen abgeschlossen ist, daß Emma so grausam, daß Emma so herzlos, daß Emma...
    „Emma!“
    Balduin formt die Hände zu einem Trichter, nimmt ihn an den Mund und ruft durch ihn zum Haus hinauf, ganz leise, ganz bange.
    „Em—ma!“
    Etwas lauter. Etwas kühner.
    „Emma, mach’ das Törchen auf!“
    Noch lauter. Noch kühner.
    „Emma, mach’ das Törchen auf!“
    Ganz laut. Ganz kühn.
    „Emma, ich befehle dir, das Törchen zu öffnen!“ Und wieder ganz still, ganz ängstlich:
    „Bitte, liebe Emma, öffne das Törchen!“
    Kein Licht schimmert in seinem Hause, Peterstraße 7a, auf. Keiner kommt, das Törchen zu öffnen. Da liegt nun sein Haus, sein Eigentum — und er kann es nicht betreten. Weshalb eigentlich? Mag sein, ich habe etwas zu viel gesagt, ich war eigensinnig. Emma hat bestimmt recht, Klothilde soll meinetwegen...
    „Willst du nicht das Törchen öffnen, liebe Emma?“ Ich hätte heute nicht gehen sollen, du hast recht, du wolltest mich dringend sprechen, ja, ja... Soll denn der Schlüssel von der Haustür nicht passen? Nein, er paßt nicht.
    Soll ich denn hier draußen...?
    Und da wird Balduin alles zu dumm, das wäre doch gelacht, Herrgott nochmal, nicht einmal in sein eigenes Haus... Er schwingt sich auf das Törchen und steht auf der Querlatte, 15 Zentimeter über dem Boden. Er rutscht wieder ab. Er klettert wieder hinauf. Für seine 55 Jahre keine Kleinigkeit. Für seine kurzen Beine, bei denen zudem noch ein großes O für ihre Form und Schönheit verantwortlich ist, bald schon eine Großtat.
    Noch einmal. Und jetzt höher. Auf die zweite
    Querlatte. Und noch etwas höher, und noch etwas... und da ist er oben!
    „Emma! Ich brauche dich nicht!“
    Ganz kühn. Ganz Sieger. Ganz Feldherr auf dem Staketentörchen.
    „Em...!“
    Da fliegt einer hin.
    Da gibt es einen Plumps.
    Wie?
    Da scheint jemand auf die Nase gefallen zu sein. Aus.

Dienstag, zweite Stunde: Erdkunde. Tithemi muß tüchtig niesen, und die Reise nach Kanada fällt aus

    „Du, Krischan, komm’ mal her mit deinem Mathematikheft! Hier oben die beiden Aufgaben, stimmt doch, nicht? Mensch, du schreibst wie ein Schwein, das kann keiner lesen!“
    Gamaschke läßt sich durch nichts
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