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Flegeljahre am Rhein

Flegeljahre am Rhein

Titel: Flegeljahre am Rhein
Autoren: Bernd Ruland
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Hausarbeit für heute, nicht wahr?“ Plötz, alias Civilis, ist aus allen Wolken gefallen. Übersetzen? Natürlich hat er sich nicht präpariert. Die ganze Klasse wird verlegen.
    Gamaschke zeigt auf, sehr dringend.
    „Bitte?“
    „Verzeihen Sie, Herr Studienrat, ich hätte eine Frage an Sie zu richten. Die Klasse interessiert sich sehr intensiv für das neue Werk von Romain Rolland. Gewiß, es gehört vielleicht besser in die Deutsch-Stunde, aber da Rolland nun einmal ein Franzose ist und Sie... „
    Civilis hat sich inzwischen schon gesetzt; denn er weiß, daß die Situation gerettet ist. Der Groschen bei Bruno ist gefallen. Der Automat wird gleich abrollen.
    Und er rollt ab. Bruno erzählt. Bruno deklamiert. Bruno hat Feuer gefangen. Seine Hände fuchteln durch die Luft. Die weiße Ecke des weißen Tuches in seiner Brusttasche ist schon viel größer geworden. Wenn Bruno noch lange so redet, fällt das Tuch ganz heraus...
    Da bringt ein dünnes, freches Hundebeilen Bruno aus dem Konzept.
    Das Gymnasium von Rheinstadt liegt mitten in der Stadt, das Klassenzimmer der Oberprima zur Straße hin, und zwar ganz unten, so daß als nächster Weg aus der Schule in die Stadt von den Oberprimanern sehr oft, in unbewachten Augenblicken, eines der drei Fenster benutzt wird.
    Da dringt also von der Straße her ein freches Bellen in das Klassenzimmer. Nanu, dieses Bellen kennt man doch? Richtig! Nebenan im Klassenzimmer muß also Tithemi, der Direktor der Anstalt, unterrichten. Nein, nicht Tithemi bellt — aber Tithemi wird angebellt. Frau Tithemi, Mathilde, geht zum Markt einkaufen. Waldi dackelt mit.
    Kann Mathilde es ändern, daß der Weg zum Markt am Gymnasium vorbeiführt? Kann Mathilde denn dafür, daß Waldi ein so feines Naschen hat und Herrchen schnuppert? Herrchen aber darf sich nicht am Fenster zeigen. Dienst ist Dienst.
    Dienst sind augenblicklich Hexameter und Homers Odyssee auf Obersekunda. Hundegebell ist Profanierung homerischer Dichtung. Audi wenn es von Waldi stammt...
    „Waldi, Herr Studienrat, Waldi!“ Bobby sagt es ganz weihevoll, und Bruno macht eine verbindliche Handbewegung, die darauf schließen läßt... Nun ja, Tithemi ist eben der Chef, und der Hund vom Chef ist immerhin, gewissermaßen, mit Verlaub, ein Stück Respektsperson.
    „Was Rolland in Beethoven sah... „
    Bruno hat den Faden wieder.
    Gleich wird die Stunde zu Ende sein. Sauberbrunnen packt schon sein Käsebrötchen aus. Da schellt es.
    „Plötz, übersetzen Sie schnell!“
    Brüllt die ganze Klasse:
    „Es hat geschellt!“
    Fünf Minuten Pause. Sauerbrunnen führt jetzt das große Wort. Die nächste Stunde wird Balduin Erdkunde unterrichten.
    „Alle Fenster zu! Jeder auf seinem Platz bleiben! Gamaschke, schließ’ du noch die Vorhänge!“
    Die Klasse grölt. Sie weiß, daß heute eine „große Sache“ bevorsteht. Gamaschke zieht die Vorhänge vor jedem Fenster zu. Jetzt liegt ein dämmrig-gelbes Licht im Klassenzimmer. Bobby sitzt der Tür am nächsten, muß Wache stehen. Es könnte ja sein, daß ein anderer Pauker zufällig in die Klasse will.
    Die letzten Bänke beginnen zu summen. Schaurig, gespenstisch. Ein paar Kameraden halten schon ihre Nasen zu; denn Sauerbrunnens Stunde hat geschlagen. Er kriecht unter das Katheder. Läßt einige Tropfen aus seinem geheimnisvollen Fläschchen auf den Boden tropfen. Läuft zur ersten Bank, zur dritten Bank, in die letzten Bänke, und überall träufelt er seinen Stinkextrakt auf den Boden. Es riecht fürchterlich. Es ist nicht zum Aushalten.
    Alles ist mäuschenstill. Jeder steht an seinem Platz. Jeder macht ein verzweifeltes, aber doch todesmutiges Gesicht. Weiß der Teufel, was Sauerbrunnen da für ein Zeug auf getrieben hat! Bobby steht noch auf Posten, draußen, vor der Tür. Stürmt jetzt in die Klasse:
    „Er kommt!“
    „Alles fertig?“ fragt Gamaschke.
    Die Tür wird geöffnet. Knallerbsen fliegen wider die Wand. Eine leere Konservendose kollert zwischen den Bänken über den Boden. Deckel von Tintenfässern werden klappernd auf- und niedergeschlagen. Fäuste poltern auf die Bankpulte. Jeder der zweiundzwanzig anwesenden Oberprimaner hat ein Amt, einen Posten. Auch die, die eigentlich kneifen, weil sie hoffen, dadurch eine gute Note auf dem Zeugnis zu finden, werden irgendwie ergriffen von diesem Massenkrach und bemühen sich, es den Hauptleuten gleichzutun... Keiner hat Balduin bemerkt, wie er in die Klasse hereinkroch, zum Katheder ging, langsam einen großen Stoß Bücher
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