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Flegeljahre am Rhein

Flegeljahre am Rhein

Titel: Flegeljahre am Rhein
Autoren: Bernd Ruland
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Tür.
    Balduin geht ihm geflissentlich nach.
    „Die Sache ist nämlich die, Herr Direktor... „ Aber da schlägt die Türe schon zu, und die Klasse ist sich selbst überlassen. Einer sieht den anderen fragend an. Was kann nur geschehen sein? Weißt du etwas? Oder hast du da eine Ahnung? Kannst du dir auch nichts denken? Hier ist die Klasse ratlos.
    Gamaschke springt auf das Katheder: „Kameraden! Verdammte Schweinerei, daß uns der Alte erwischen mußte! Wir werden mindestens zwei Stunden Arrest bekommen. Schön. Wir werden sie in Ehren absitzen. Wenn Balduin wiederkommt, ist nichts geschehen, verstanden? Balduin ist doch ein armer Teufel...“
    Gamaschke nimmt die Bücher in seine Hand, die Balduin auf dem Pult abgelegt hat, blättert darin, findet viele Zettel, hebt sie in die Höhe.
    „Seht euch das an! Er hat wieder stundenlang gepaukt, um uns etwas über Kanada erzählen zu können...“

Die rote Lampe brennt

    Über der Tür des Direktorzimmers brennt die rote Lampe. Weithin sichtbar in dem langen Korridor, an dessen Ende das Heiligtum liegt, blickt sie warnend aus ihrer Höhe herab. Wenn über der Türe diese rote Lampe brennt, dann ist dicke Luft: Eintreten streng verboten! Unmittelbar neben der roten Lampe hängt noch eine weiße. Leuchtet sie auf, dann darf man eintreten. Neben der weißen wiederum hängt eine grüne. Wird man von ihr empfangen, so bedeutet das, daß man sich einen Augenblick zu gedulden habe.
    Bei Tithemi geht alles sehr genau. Als er vor drei Jahren Direktor der Anstalt wurde, ließ er diese Lampen anbringen. Er ließ dazu ein Schildchen an seiner Amtstüre befestigen, auf dem eine genaue Erklärung des Feuerwerkes der drei Lampen gegeben war. Die drei Lampen haben sich gut bewährt. Nur einmal gab es großes Donnerwetter. Irgendein Geist hatte die Lampen vertauscht, die rote Birne in die Fassung der weißen, die weiße in den Platz der roten eingeschraubt... Wie gesagt, eben brennt die rote Lampe.
    Hinter der Türe summt eine Sommerfliege. Vielleicht sind es auch zwei, auch drei. Die Wichtigkeit der Minuten verbietet es den Herren, die dort in dem Zimmer hinter der Türe mit der roten Lampe sitzen, auf Fliegen zu achten.
    Hinter seinem großen Schreibtisch thront Tithemi. Der schwere Amtssessel, echt Eiche, echt ledergepolstert, ist etwas zu groß für ihn, und wenn er sich ganz nach hinten setzt, sich gemütlich-gemächlich anlehnt, dann ist gar nicht gesagt, daß seine Füße den Boden berühren, der spiegelglatt gebohnert ist und niemals ein Stäubchen zeigen darf.
    Tithemi sitzt augenblicklich so weit in seinem Sessel zurück, daß seine Beine wirklich nicht den Boden berühren. Wenn Tithemi so sitzt, dann überlegt er scharf, dann ist ihm etwas unendlich peinlich, dann jongliert er sich aus einer unliebsamen Stimmung. Er drückt mit der rechten Hand nervös sein Kinn, trommelt mit der linken auf die Sessellehne.
    Eine Sommerfliege summt.
    Auf der anderen Seite des großen Schreibtisches sitzt, wie eine Ruine, zusammengestaucht, den Kopf nach vorne gebeugt, gemartert von fürchterlichen Kopfschmerzen, gequält von der Frage, was jetzt kommen könne, gehemmt und festgehalten von einem bösen Kater, gezwickt von seinen Pflastern und gestochen von kleinen Schrammen und Kratzern im Gesicht — so also sitzt Balduin vor Tithemi.
    Die sonst so glänzende goldene Uhrkette, behaglich über seinen Bauch gelegt, scheint matt und blind. Die paar grauen Härchen stehen gesträubt in weitem, kahlem Feld. Verkrampft liegen die Hände auf seinem hochgezogenen Knie.
    Die Sommerfliege hat sich auf seinem Kopf niedergelassen. Er bemerkt sie nicht.
    „Tja, Herr Kollege
    Tithemi läßt sein Kinn los. Tithemi trommelt nicht mehr.
    „Eine sehr dumme Sache ..
    Tithemi verkriecht sich in die äußerste Ecke des Sessels.
    Balduins Augen suchen Hilfe.
    Die Sommerfliege summt zu Tithemi und schnuppert an seiner Nase.
    „Erstens, Herr Kollege, ist es mir sehr unangenehm, zweitens ist die Angelegenheit sehr dringend, drittens, Herr Kollege, verstehe ich nicht...“ Das Telefon schellt. Balduin fährt zusammen. Die Sommerfliege fliegt erschreckt auf. Tithemi schießt aus seinem Sessel.
    „Bitte? Hier Direktor Krager. Wie...? Frau Studienrat Lehrmann?... Ja, ja, Ihr Gatte ist hier... Ja, er unterrichtet... Habe ich recht verstanden — ist nicht zu Hause gewesen?... Verstehe ich nicht...“
    Balduins Kopf hebt sich höher.
    „Bitte sehr. Ja, Sie können sich darauf verlassen...“
    Balduins Augen hängen
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