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Flammenbucht

Flammenbucht

Titel: Flammenbucht
Autoren: Markolf Hoffmann
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sprechen noch ihre Hände gebrauchen konnten, brach bald das öffentliche Leben in Udan'Andor zusammen. Auf den Feldern verfaulte das Getreide, die Brunnen versandeten, Häuser und Straßen verfielen. Bald waren die Kornkammern leer, und die Blinden verhungerten in ihren Betten. Udan'Andor verkümmerte wie eine Pflanze, deren Wurzeln durchtrennt worden waren.
    Noch heute soll es in einigen Dörfern in der Wüste einen sonderbaren Kult um einen augenlosen Götzen geben, dessen Zorn die Menschen zu besänftigen versuchen, indem sie ihren Kindern mit Erreichen des zwölften Lebensjahres die Zunge, die Finger und die Füße verstümmeln.
    So fiel Udan'Andor, die Stadt der Entsagung, als dritte der sechs großen Städte.
    Nebel flutete die Gassen der Stadt. Ein weißer Schleier sank auf Harsas nieder und brachte Furcht und Verderben mit sich. Schreie aus unbestimmter Richtung, gedämpfte Schritte auf dem Straßenpflaster - ein Flüchtender? Nein, nichts zu erkennen im naßkalten Sud. Aus der Ferne das Sirren eines Pfeils, Schlachtrufe, das Klirren aufeinandertreffender Klingen. Ein Kind weinte, rief nach seiner verschwundenen Mutter. Bewegte Schatten inmitten der Nebelfetzen; geduckte Gestalten, die von Haus zu Haus huschten.
    Mitten auf der Straße ein klobiger Gegenstand, kaum zu erkennen im formlosen Weiß… ein Körper, der Kopf seltsam verdreht, in einer Lache aus Blut. Menschen preßten sich an die Hauswände, versuchten vergeblich, in den Schwaden etwas zu erkennen. Dort stürzte sich ein Mann mit gezücktem Messer ins Nichts, doch sein Gebrüll erstarb, als der Nebel ihn verschluckte.
    Panik griff um sich. Viele verriegelten die Türen ihrer Häuser, andere verließen Hals über Kopf ihr schützendes Heim, wankten durch die Gassen wie Betrunkene, da sie kaum die eigenen Füße auf dem Pflaster erkennen konnten. Auf den Plätzen der Stadt sammelten sich Menschenmassen; starre Finger klammerten sich im Hemd, im Rock des Nächsten fest, schoben und zerrten, während sich ringsum die Schreie mischten. Schwankende Lichtpunkte glommen auf, die Flammen trüber Öllampen. Die Mönche des Balah-Sej, Gott des Gesetzes, durchkämmten die Straßen auf der Suche nach einem unsichtbaren Feind. Ihre Kettenrüstungen rasselten unheilvoll aneinander. In den Händen zuckten gebogene Säbel. Immer wieder blieben die Mönche stehen, riefen sich kurze Befehle zu, um dann auseinanderzugehen. Wenige kehrten aus den Schwaden zurück. Hier und dort zerstob der Nebel für einen Augenblick. Dann war die mit Leichen übersäte Gasse zu erkennen. Helles Blut glitzerte auf den Pflastersteinen. Der entstellte Körper eines Mönches, sein Hals durchtrennt, als ob ein Beilhieb ihn getroffen hätte. Eine Frau, deren Rücken auseinanderklaffte wie der Leib eines ausgeweideten Tieres. Ein Verwundeter, der sich an einer Hausecke aufzurichten versuchte; seine Hand glitt wieder und wieder an dem glatten Gestein ab. Dann schloß sich der Nebel. Das grausige Bild erlosch.
    Seltsame Stimmen durchwehten die Gassen wie in einem Traum. Die Menschen von Harsas lauschten, konnten sich nicht der Macht der zischenden Worten verschließen, »… sind bei euch, sind bei euch… sind endlich gekommen, um Rache zu nehmen
…«,
fremde Stimmen voller Grausamkeit, »… Rache für den Schmerz, für das Leid… ja, rennt nur, rennt fort! Drafur wird kommen, doch ihr seid verloren, verloren…« Und messerscharfe Krallen schössen aus dem Nichts, bronzeschimmernde Klauen tasteten nach dem Hals eines Mannes, einer Frau, eines Kindes, rissen sich durch Haut und durch Fleisch, bis die Schreie ihrer Opfer erstarben und im Nebel verhallten.
    Folgendes wird vom Fall der Stadt Mandras berichtet:
    In der Stadt Mandras, die man auch die Stadt des Rausches nannte, schätzte man jene Pflanzen besonders hoch, die den Geist des Menschen betäuben. Sämtliche gesellschaftlichen Bräuche waren auf den Rausch ausgerichtet. Überall in der Stadt sah man die Bewohner geheimnisvolle Kräuter rauchen. In kleinen Messinggefäßen siedeten betäubende Essenzen. Auf samtenen Laken träufelten sich Männer süß duftende Öle in die Nasen. Frauen rieben sich Salben aus euphorisierenden Pilzen auf die Schläfen. Dies alles geschah mit großer Ernsthaftigkeit, denn die Menschen von Mandras verstanden den Rausch als Prozeß der Verinnerlichung, dem ein jeder in Ruhe und Abgeschiedenheit begegnen sollte. So herrschte in den Straßen eine seltsame Stille; nur selten waren Stimmen oder gar Musik zu
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