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Flammenbucht

Flammenbucht

Titel: Flammenbucht
Autoren: Markolf Hoffmann
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werfen; doch ein jähes Beben erfaßte den Gelben Felsen und brachte den Großmeister zu Fall. Die Schale der Träumer erzitterte; mit einem peitschenden Geräusch barst das Gestein. Risse jagten über die spiegelglatte Oberfläche. Blutrote Schwaden brachen aus der Mitte der Insel hervor und stürzten nieder als heißer, ätzender Brodem. Ringsum warfen sich die Zauberer der Calindor zu Boden, versuchten die Gesichter mit den Händen zu schützen; doch der Zorn der Quelle erstickte ihre Schreie.
    Tene-Usfar, der Großmeister der Loge, brachte sich um einen raschen Tod. Lange noch krümmte er sich auf dem Felsen und trotzte den Mächten der Sphäre, bis sich der giftige Hauch der Quelle auch in seine Lungen fraß. Sie nahm Rache für die Jahrhunderte der Knechtschaft; und das letzte, was Tene-Usfar erblickte, bevor ihm die Schmerzen das Bewußtsein raubten, war eine Gestalt inmitten der roten Dämpfe; ein echsenhafter Schädel, der sich aus dem Nichts schälte und ihm aus schillernden Augen beim Sterben zusah.
    Folgendes wird vom Fall der Stadt Yuthir berichtet:
    Die Stadt Yuthir, die man auch die Stadt des Wissens nannte, war berühmt für ihre weisen Bewohner. In ihr lebten Sterndeuter und Alchimisten, Seher und Priester, Philosophen und Zauberer. Allesamt widmeten sie sich der Erforschung der Welt. Ob die Geheimnisse der Elemente oder die höhere Rechenkunst, ob der Lauf der Gestirne oder die Beschaffenheit der Metalle - nichts blieb ihrem Wissensdurst verborgen. Das größte Gebäude der Stadt war die Bibliothek, in der die Weisen ihre Erkenntnisse für die Nachwelt aufzeichneten. Es heißt, daß dort mehr Bücher aufbewahrt wurden, als ein Mensch in seinem Leben zählen konnte; um an allen Regalen entlangzuschreiten, benötigte man mehrere Tage. Manche Bücher waren älter als die Stadt selbst, waren aus untergegangenen Städten nach Yuthir gebracht und dem Wissensschatz einverleibt worden. Alle Bewohner Yuthirs konnten sich in sieben Sprachen verständigen, von denen die meisten heutzutage vergessen sind. Die Kinder lernten bereits früh das Lesen, und bevor sie das Erwachsenenalter erreicht hatten, beherrschten sie die Kunst der Geometrie und die Namen sämtlicher Sterne am Nachthimmel. Auf den Landkarten von Yuthir waren alle Gebiete von Gharax verzeichnet und sogar noch ein weiterer Kontinent im Südmeer, den niemand je gesehen hatte, dessen Existenz jedoch auf geheimnisvolle Weise errechnet worden war.
    Das angehäufte Wissen erregte bald den Neid der benachbarten Städte. Manch fremder König entsandte seine Weisen nach Yuthir und bat darum, sie in der Bibliothek studieren zu lassen. Doch die Bewohner Yuthirs wiesen alle Anfragen zurück, denn sie fürchteten, die Fremden könnten das Wissen zu unlauteren Zwecken gebrauchen. Bald wurde der Tonfall der Gesandten schärfer; man drohte Yuthir mit Handelsnachteilen, schließlich mit Gewalt. Doch noch immer wollten die Weisen ihr Wissen nicht mit den Nachbarn teilen. Aus Angst vor einem Angriff versteckten sie Teile der Bibliothek in unterirdischen Kammern; neue Bücher wurden in Geheimschriften verfaßt, weitere Erkenntnisse nicht mehr schriftlich niedergelegt, sondern mündlich vom Lehrmeister an den Schüler weitergegeben. Doch auch dies erschien einigen der Weisen zu unsicher; sie begannen die Bücher auf Scheiterhaufen zu verbrennen und schnitten ihren Schülern die Zungen aus dem Mund, damit sie nicht versehentlich ihre Kenntnisse ausplaudern konnten. Schließlich setzten die Weisen von Yuthir die gesamte Stadt in Brand und übergaben sich selbst den Flammen, damit ihnen niemand das Wissen rauben konnte, das sie über Jahrhunderte hinweg angehäuft hatten. Yuthir geriet daraufhin in Vergessenheit, und alle Erkenntnisse aus älteren Tagen gingen der Menschheit für immer verloren. So fiel Yuthir, die Stadt des Wissens, als zweite der sechs großen Städte.
    Ein Brodeln und Fauchen erfüllte die Bucht von Harsas. Riesige Blasen schäumten aus dem Wasser empor und spieen Dampf in den Himmel. Nie zuvor hatten die Menschen von Harsas solch ein Schauspiel gesehen; doch ihr anfängliches Staunen wich bald panischer Angst. Die Schwaden sanken auf das Land nieder, raubten den Anwesenden die Sicht. Einige hielten sich die Hände vor den Mund, um nicht zu erbrechen; andere flüchteten von der Küste ins Innere der Stadt, um dort Schutz zu suchen. Jene, die bei den Treppen verblieben, starrten auf das Wasser, das von Dämonen gepeitscht schien. Der Dampf verfärbte
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