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Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Titel: Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman
Autoren: Anne Perry
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der Außenseite ein Familienwappen.
    Narraway hielt ihm auffordernd die Hand hin, und Pitt legte den Ring hinein. Dann beugte er sich erneut über den Toten und machte sich daran, dessen Jackett-Taschen zu durchsuchen. Er fand ein Taschentuch, etwas Kleingeld und ein Stück Papier. Auf ihm schien eine Mitteilung gestanden zu haben, denn man konnte noch die Worte »Lieber Magnus« lesen. Der Rest war abgerissen.
    »Lieber Magnus«, sagte Pitt.
    Mit gekräuselten Lippen sah Narraway auf den Ring. Sein
Gesicht wirkte müde und zerquält. »Landsborough«, sagte er. Es klang wie eine Antwort.
    Pitt war verblüfft. »Kennen Sie ihn?«
    Narraway sah ihn nicht an. »Ich bin ihm ein paarmal begegnet. Er war Lord Landsboroughs Sohn – der einzige.« Seinem Gesichtsausdruck ließ sich nicht entnehmen, was er empfand – Kummer, Sorge, dass es zu weiteren Schwierigkeiten kommen könne, oder einfach Widerwillen, weil er den Angehörigen die Nachricht von seinem Tod überbringen musste.
    »Könnte es sein, dass man ihn als Geisel genommen hatte?«, fragte Pitt.
    »Möglich«, räumte Narraway ein. »Eins aber weiß ich sicher: Ich kann mir nicht vorstellen, dass man ihn durch das Fenster in den Hinterkopf geschossen hat und er so hingefallen ist, wie er jetzt liegt.«
    »Niemand hat ihn von der Stelle bewegt«, sagte Pitt, seiner Sache sicher. »Andernfalls wäre da alles voll Blut. Eine solche Wunde …«
    »Das sehe ich selbst!« Narraways Stimme war mit einem Mal belegt, er konnte seine innere Bewegung nicht unterdrücken. Die Ursache dafür mochte Mitleid oder auch einfach Abscheu sein. »Natürlich ist er nicht von der Stelle bewegt worden. Warum auch, zum Teufel? Man hat ihn hier in diesem Zimmer erschossen, das liegt auf der Hand. Bleibt die Frage: Wer, und warum? Vielleicht haben Sie Recht, vielleicht war er tatsächlich eine Geisel.
    Gott im Himmel, was für eine verfahrene Geschichte! Stehen Sie schon auf, Mann. Wenn der Polizeiarzt ihn holt, werden wir erfahren, ob es Näheres zu sagen gibt. Wir müssen unbedingt die beiden anderen verhören, bevor die Polizei die Sache in die Finger bekommt und man nicht mehr weiß, was oben und was unten ist. Es ist mir zuwider, mich mit den beiden abgeben zu müssen, aber mir bleibt keine Wahl. Die Vorschriften verlangen es nun einmal.«
    Abrupt drehte er sich um und ging mit großen Schritten auf
die Tür zu. »Kommen Sie schon! Wir wollen sehen, was es am Hintereingang gibt.«
    »Wir haben zwei lebende und einen toten Anarchisten vorgefunden«, sagte Narraway finster zu dem Beamten, der dort stand, »in dem Raum aber haben sich vier Männer aufgehalten, wenn nicht sogar fünf. Also ist zumindest einer von denen entkommen!«
    Der Beamte sagte aufsässig, so, als habe ihm Narraway vorgeworfen, den Mörder entkommen zu lassen: »Wir ha’m kein’ geseh’n, Sir. Ihr Mann is die Treppe runtergekomm’n un hat geruf’n, wir soll’n ein’n festhalt’n, aber da war keiner zum Festhalt’n.«
    »Von uns ist niemand über die Hintertreppe nach unten gegangen«, teilte ihm Narraway knapp mit. Daraufhin verhärteten sich die Züge des Beamten; seine blauen Augen waren wie Stein.
    »Wenn Se das sag’n, Sir. Aber ’n anderer is hier nich vorbeigekomm’n. Vielleicht is der vorne runter un zur Haustür raus, wie Se ob’n war’n, Sir?« Er sagte das ohne den geringsten Unterton von Unverschämtheit. Manche Polizeibeamte arbeiteten nicht gern mit dem Staatsschutz zusammen, dem sie Amtshilfe leisten und Tatverdächtige festnehmen sollten, da dieser dazu nicht befugt war.
    »Oder er hat das Gebäude verlassen und ist sofort in eins der anderen Häuser gegangen?«, warf Pitt rasch ein. »Wir sollten sie am besten alle durchsuchen.«
    »Tun Sie das«, gebot Narraway knapp, »und sehen Sie überall nach: in jedem Zimmer, in Betten, falls dort welche stehen, in Schränken, auch unter Abfall-oder Altkleider-Haufen auf dem Dachboden, sogar, wenn man da nur kriechen kann. Und in Schornsteinen.« Er wandte sich ab und ging die Straße entlang, wobei er den Blick über die anderen Häuser, deren Dächer und Eingangstüren schweifen ließ. Pitt folgte ihm dichtauf.
    Eine Viertelstunde später befanden sie sich wieder vor der Tür des Hauses in der Long Spoon Lane. Scharf pfiff der Wind durch die Gasse, und obwohl inzwischen später Vormittag war, wirkte
das Licht kalt und grau. Nirgends hatte man einen Anarchisten gefunden, der sich versteckt hielt. Keiner der Polizeibeamten auf der Vorderseite des
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