Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Titel: Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
Häuserreihe schirrte der Kutscher es aus und führte es in raschem Schritt davon. Bald darauf tauchte ein ähnlicher Karren auf und wurde hinter dem ersten abgestellt. Dann kippte man beide auf die Seite.
    »So«, sagte Narraway leise und straffte sich. Sein Gesicht wirkte entschlossen. Das bleiche Licht des Morgens ließ alle Fältchen darauf deutlich hervortreten. Es sah aus, als habe im Laufe seines Lebens jede tiefe Empfindung ihre Spuren in seinem Gesicht zurückgelassen, und doch vermittelte es den Eindruck unbeugsamer Stärke.
    Inzwischen befand sich ein halbes Dutzend Polizeibeamte auf der Straße, die meisten davon bewaffnet. Auch auf der Rückseite des Gebäudes sowie an den Enden der Straße waren Polizeibeamte postiert.
    Schon näherten sich Männer mit einem Rammbock, um die Tür des Hauses gewaltsam zu öffnen, da zerklirrte im oberen Stockwerk eine Fensterscheibe. Alle erstarrten mitten in der Bewegung. Gleich darauf fielen Schüsse, prallten Kugeln in Schulter-und Kopfhöhe von den Mauern ab. Glücklicherweise schien niemand getroffen worden zu sein.
    Die Beamten erwiderten das Feuer. Die Scheiben zweier weiterer Fenster wurden zerstört.
    In der Ferne hörte man einen Hund bellen, und von der Mile End Road, die ganz in der Nähe lag, kam das gleichförmige Geräusch des Verkehrs herüber.
    Wieder fielen Schüsse.
    Pitt zögerte, sein Gewehr zu benutzen. Obwohl er im Lauf der Jahre als Polizeibeamter viele Verbrechen aufgeklärt hatte, war er
nie in die Zwangslage gekommen, auf einen Menschen schießen zu müssen. Die bloße Vorstellung, sich dazu genötigt zu sehen, verursachte ihm Unbehagen.
    Narraway eilte im Laufschritt dorthin, wo zwei Männer hinter den umgestürzten Karren kauerten. Als eine Kugel unmittelbar oberhalb von Pitts Kopf in die Mauer schlug, hob er mechanisch das Gewehr und feuerte auf das Fenster, aus dem der Schuss gekommen war.
    Die Männer mit dem Rammbock hatten die andere Straßenseite erreicht und waren jetzt aus der Schusslinie. Sobald sich hinter den Fenstern ein Schatten regte, feuerte Pitt und lud seine Waffe gleich wieder nach. Trotz allem Abscheu war seine Hand ruhig, und er empfand ein gewisses Hochgefühl.
    Ein Stück weiter wurde jetzt ebenfalls geschossen.
    Nach einem warnenden Blick zu Pitt eilte Narraway über die Straße zu den Männern mit dem Rammbock. Wieder wurde aus dem obersten Fenster eine Salve abgefeuert. Einige Kugeln prallten von der Mauer ab und sirrten als Querschläger durch die Luft, andere schlugen dumpf in die Planken der Karren ein.
    Pitt erwiderte das Feuer, dann schwenkte er den Lauf seines Gewehrs auf ein anderes Fenster, aus dem bisher noch nicht geschossen worden war. Die Sonnenstrahlen brachen sich blitzend in den Scherben der zerbrochenen Scheibe.
    Jetzt fielen Schüsse von verschiedenen Stellen: aus dem Haus, von der Straße vor ihm und von ihrem jenseitigen Ende. Ein Polizist sank in sich zusammen und stürzte zu Boden.
    Niemand eilte ihm zu Hilfe.
    Immer wenn Pitt aufblitzendes Mündungsfeuer oder einen Schatten sah, der sich bewegte, schoss er abwechselnd auf die beiden Fenster.
    Nach wie vor kümmerte sich niemand um den Verletzten. Pitt begriff, dass die Männer dazu keine Möglichkeit hatten; sie waren alle viel zu sehr gefährdet.
    Mit scharfem Klirren traf eine Kugel auf das Metall des Laternenmasts, hinter dem er stand, sodass ihm der Atem stockte und
sich sein Puls beschleunigte. Es kostete ihn Mühe, die Hand ruhig zu halten, als er den nächsten Schuss durch das offene Fenster abgab. Allmählich verbesserte sich seine Treffsicherheit. Er verließ seine Deckung und eilte über die Straße zu dem Beamten, der etwa zwanzig Meter von ihm am Boden lag. Wieder fuhr eine Kugel dicht an ihm vorbei und schlug in die Mauer ein. Er stolperte und ging ganz in der Nähe des Mannes zu Boden. Blut bedeckte die Pflastersteine. Den letzten Meter legte er kriechend zurück.
    »Ganz ruhig«, sagte er mit gedämpfter Stimme. »Ich bringe Sie in Sicherheit. Da sehen wir uns die Sache dann genauer an.« Er wusste nicht, ob ihn der etwa zwanzigjährige Mann hören konnte, aus dessen Mund ein Faden Blut lief. Sein Gesicht war bleich, seine Augen waren geschlossen.
    Da Pitt nicht aufzustehen wagte, um kein leichtes Ziel zu bieten, konnte er ihn unmöglich wegtragen. Auch bestand die Möglichkeit, dass ihn ein Querschläger von den Kugeln der Polizeibeamten traf, die gerade jetzt ununterbrochen feuerten. So beugte er sich vor, ergriff den Mann bei
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher