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Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Titel: Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman
Autoren: Anne Perry
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begnadigte oder entkommen ließ. Vielleicht fände er sogar eine Möglichkeit, die Schuld an der Tat jemandem zuzuschieben, der nichts damit zu tun hatte – beispielsweise Simbister!
    Der Tee und der Toast kamen, und Pitt genoss beides. Er war gerade fertig, als Vespasia eintrat. Obwohl seit seiner Ankunft kaum zwanzig Minuten vergangen waren, war sie schon ausgehfertig und offensichtlich bereit, das Haus zu verlassen.
    »Was ist geschehen, Thomas?«, fragte sie. Ihrer Stimme war anzuhören, was sie befürchtete, so, als wisse sie bereits alles. Das aber war gänzlich unmöglich.
    Er stand sofort auf.
    »Ich habe heute Morgen Piers Denoon wegen Mordes an Magnus Landsborough festnehmen lassen«, sagte er. »Wetron hat ihn dazu erpresst, leider aber kann ich das nicht beweisen. Simbister hat mit den Erpressungen angefangen, deshalb steht sein Name auf den Dokumenten.«
    Alle Farbe wich aus Vespasias Gesicht. »Und Enid weiß Bescheid?«
    Sein Unbehagen wuchs. »Ich wollte, dass Denoon es zuerst erfuhr, und habe das Dienstmädchen geschickt, damit sie es ihm sagte. Sie hat aber Enid statt seiner geweckt.«
    »Vermutlich hat sie Angst vor ihm«, sagte Vespasia, während sie zur Tür ging. »Meine Kutsche wartet.« Ihre Stimme war heiser vor tiefer Gemütsbewegung. »Piers ist ihr einziges Kind. Beeil dich, Thomas. Vielleicht kommen wir ohnehin schon zu spät.«
    Er fragte nicht, was sie damit meinte. Ob sie fürchtete, dass sich Enid Denoon das Leben genommen hatte, weil sie die Schande und den Kummer nicht ertragen konnte? Er hätte sich vergewissern sollen, dass ihr Mann da war, damit sich jemand um sie kümmerte, oder zumindest ein zuverlässiger, fähiger Dienstbote – der Butler oder eine Zofe, die schon lange im Hause war. Er verwünschte sich wegen seiner törichten Handlungsweise. Aus lauter Hass auf Wetron hatte er es unterlassen, dafür zu sorgen, dass Enid Denoon eine Möglichkeit bekam, den Schock zu verarbeiten.
    Staunend hörte er, dass Vespasia dem Kutscher Wetrons Adresse angab und nicht die der Familie Denoon. Sie stieg ein, ohne darauf zu warten, dass Pitt ihr helfend die Hand reichte.
    »Wieso Wetron?«, rief er aus.
    »Schnell!«, sagte sie, sonst nichts.
    Der Kutscher gehorchte und trieb die Pferde an. Sie fuhren durch die Straßen, die um diese Stunde wie ausgestorben dalagen. Außer Lieferanten, die Waren zu den Häusern brachten, sah man kaum jemanden.
    Es gab keinen Anlass, miteinander zu reden, und Pitt war froh darüber. Seine Gedanken jagten sich, waren aber zu wirr und ergaben keinen Sinn. Als die Kutsche anhielt, riss er den Schlag auf, um Vespasia hinauszuhelfen. In ihrer Eile wäre sie fast über ihn gefallen. Enids Kutsche stand auf der anderen Straßenseite.
    Gemeinsam eilten sie über den Gehweg und die Treppe zum Eingang empor. Es war das zweite Mal an diesem Morgen, dass er an eine Haustür hämmerte und ein verblüffter Dienstbote öffnete.
    Gerade als sie an ihm vorbeistürzten, fiel ein Schuss. Mit einem Aufschrei wandte sich Vespasia dem Empfangszimmer zu, in dessen Tür Wetron mit wirrem Haar und aschfahlem Gesicht erschien. Er hielt eine kleine Pistole in der Hand.
    »Die Frau ist wahnsinnig!«, stieß er hervor und sah wild zuerst auf Vespasia, dann auf Pitt. »Sie hat sich auf mich gestürzt wie eine … eine Furie! Mir blieb nichts anderes übrig. Es ist …« Er sah auf die Waffe in seiner Hand, als überrasche es ihn, sie dort zu sehen. »Es ist ihre. Sie wollte mich erschießen! Man hat ihren Sohn festgenommen. Das … das hat ihren Geist verwirrt … das arme Geschöpf.«
    Vespasia schob sich an ihm vorbei, als sei er ein Dienstbote, der ihr im Weg stand, und ging ins Empfangszimmer. Die Tür ließ sie hinter sich weit offen.
    Sogar von dort aus, wo Pitt stand, konnte er Enid sehen, die auf dem Rücken lag. Blut strömte scharlachrot aus einer Wunde in ihrer Brust.
    Vespasia beugte sich über sie und nahm sie in die Arme, ohne darauf zu achten, dass das Blut ihr Kleid befleckte.
    Pitt nahm Wetron die Waffe ab. Sie war überraschend klein, eine Damenpistole.
    Enids Leben war noch nicht ganz erloschen.
    »Die Frau ist verrückt«, sagte Wetron erneut mit sonderbar schriller Stimme. »Mir blieb nichts anderes übrig!«
    Vespasia hob den Blick. Sie kniete am Boden und hatte den Arm jetzt um Enids Schultern gelegt. »Unsinn«, sagte sie mit Triumph in den Augen. »Die Kugel steckt im Teppich unter ihr«, erklärte sie mit rauer Stimme. »Also haben Sie auf sie geschossen,
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