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Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman

Titel: Flammen über Scarborough Street: Ein Inspektor-Pitt-Roman
Autoren: Anne Perry
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den Schultern und zog ihn mühsam rückwärts kriechend über das Pflaster, bis sie endlich im Schutz der umgestürzten Wagen waren.
    »Jetzt ist alles in Ordnung«, sagte er mehr zu sich selbst. Zu seiner Überraschung öffneten sich die Augen des Mannes ein wenig, und ein zögerndes Lächeln trat auf seine Züge. Mit tiefer Erleichterung merkte Pitt, dass das Blut am Mundwinkel aus einer Schnittwunde auf der Wange stammte. Rasch untersuchte er ihn, so gut es ging, um festzustellen, wo er getroffen worden war, und die Wunde zumindest notdürftig zu verbinden. Dabei redete er leise auf ihn ein. Damit wollte er nicht nur ihn beruhigen, sondern auch sich selbst.
    Die Kugel hatte die Schulter getroffen, eine Fleischwunde, blutig, aber keinesfalls lebensgefährlich. Wahrscheinlich war der Mann beim Sturz mit dem Kopf auf das Straßenpflaster geschlagen und hatte dabei für kurze Zeit das Bewusstsein verloren. Ohne seinen Helm wäre die Sache allerdings wohl weit schlimmer gewesen.
    Aus einem abgerissenen Ärmel stellte Pitt einen vorläufigen Druckverband her, mit dem er die Blutung zum Stillstand bringen wollte. Dann waren andere da, um zu helfen. Er überließ es ihnen, den Mann in Sicherheit zu bringen, und nahm sein Gewehr wieder zur Hand. Tief gebückt eilte er dorthin, wo es den Männern mit dem Rammbock endlich gelungen war, die Tür zu sprengen, die gerade in diesem Augenblick krachend gegen die Wand flog.
    Gleich dahinter lag eine schmale Treppe. Die Polizeibeamten stürmten sie empor, von Narraway gefolgt. Pitt eilte ihnen nach.
    Aus dem oberen Stockwerk hörte man einen Schuss, laute Stimmen und Schritte, dann fielen weitere Schüsse, wohl im hinteren Teil des Hauses.
    Pitt nahm immer zwei Stufen auf einmal. Im zweiten Stock fand er Narraway in einem großen Raum, der vermutlich dadurch entstanden war, dass man die Mauer zwischen zwei kleineren Zimmern herausgenommen hatte. An der offenen Tür zur Hintertreppe standen drei Polizisten, das Gewehr im Anschlag, und vor ihnen zwei junge Männer, die sich nicht rührten. Einer war schwarzhaarig, und ohne das Blut und die Schwellung auf seinem Gesicht hätte er wohl gut ausgesehen. Der andere war so mager, dass man ihn dürr nennen konnte, seine Augen waren von einem blassen Blaugrün, und seine Haare leuchteten rötlichgolden. Trotz ihrer unübersehbaren Angst bemühten sich beide, trotzig dreinzublicken, als ihnen zwei Polizeibeamte ohne besonderes Zartgefühl Handschellen anlegten.
    Mit leichtem Kopfneigen in Richtung der Tür, in der Pitt stand, wies Narraway die Männer an, die Gefangenen fortzubringen. Einer von ihnen funkelte ihn daraufhin wütend an.
    Pitt trat beiseite, um sie vorbeizulassen, und sah sich dann im grellen Licht, das durch die zerbrochenen Fenster hereinfiel, ein wenig um. Außer zwei Stühlen enthielt der Raum keine Möbel; in einer Ecke lagen Wolldecken wild auf einem Haufen. Die der Straße zugekehrte Wand wies zahlreiche Einschüsse auf. Mit Ausnahme eines Mannes, der mit dem Kopf in Richtung Fenster
reglos am Boden lag, entsprach das Bild, das der Raum bot, genau dem, was Pitt zu sehen erwartet hatte. Das dichte dunkelbraune Haar des jungen Mannes war von Blut verfilzt, und Blut bedeckte auch den Fußboden um seinen Kopf herum.
    Pitt trat zu ihm und kniete sich nieder. Der Mann war tot. Eine einzige Kugel hatte ihn getroffen, war hinten in seinen Kopf eingedrungen und an der Stirn wieder ausgetreten. Von der linken Hälfte seines Gesichts war nicht viel zu sehen, doch ließ die rechte annehmen, dass er gut ausgesehen hatte. Auf seinen Zügen lag ein Ausdruck der Überraschung.
    Pitt hatte viele Morde aufgeklärt, was letzten Endes sein Beruf gewesen war, aber nur in wenigen Fällen war es so blutig zugegangen wie hier. Das einzige Gute, was sich sagen ließ, war, dass der Tod wohl sofort eingetreten war. Dennoch krampfte sich sein Magen zusammen, und er musste kräftig schlucken. Hoffentlich war das nicht das Werk einer seiner Kugeln!
    Narraway sagte leise unmittelbar hinter ihm: »Sehen Sie in seinen Taschen nach. Vielleicht lässt sich feststellen, wer er ist.« Pitt hatte keine Schritte gehört.
    Er schob die schmale elegante Hand des Mannes beiseite und sah am Mittelfinger einen aufwändig gestalteten Siegelring, vermutlich aus Gold und mit Sicherheit wertvoll.
    Pitt drehte den Ring ein wenig, der sich nahezu mühelos lösen ließ. Ein genauerer Blick zeigte ihm auf der Innenseite den Feingehaltsstempel der Goldschmiedezunft und auf
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