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Winterfest

Winterfest

Titel: Winterfest
Autoren: Jørn Lier Horst
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    Der Nebel trieb in zerrissenen Schwaden vom Meer herein. Er hing wie Dampf über dem nassen Asphalt und bildete kleine Lichtkränze um die Straßenlaternen.
    Ove Bakkerud fuhr mit einer Hand am Steuer. Dunkle Nacht verbarg die Landschaft um ihn herum.
    Er mochte diese Jahreszeit, bevor das Herbstlaub fiel. Die letzte Fahrt hinunter nach Stavern, um die Fensterläden zu vernageln, das Boot an Land zu ziehen und alles winterfest zu machen. Den ganzen Sommer hindurch freute er sich darauf. Dies war sein Wochenende. Die eigentliche Arbeit nahm nicht mehr als ein paar Stunden am Sonntagnachmittag in Anspruch. Die restliche Zeit gehörte ihm.
    Er nahm den Fuß vom Gas und bog von der Landstraße auf den Feldweg ab. Das Licht der Scheinwerfer glitt über die Wildrosenhecken, die den Weg bis zum Parkplatz säumten. Die Uhr am Armaturenbrett zeigte 21.37 Uhr, als er den Motor abstellte.
    Er stieg aus und sog die frische Seeluft tief in die Lungen. Das Geräusch der Wellen, die auf den Strand rollten, klang wie ferner Donner.
    Der Regen hatte nachgelassen, der Wind kam jetzt in scharfen Böen und löste den Nebel auf. Der Lichtkegel des Leuchtturms draußen auf Tvistein wischte in regelmäßigen Abständen über Land und hinterließ ein Glimmen auf den regennassen Dünen.
    Er zog die Jacke fester um sich, öffnete den Kofferraum und nahm die Tragetaschen mit Lebensmitteln heraus. Er freute sich auf ein blutiges Steak zu Abend, auf Spiegeleier und Bacon zum Frühstück. Mahlzeiten für Männer. Steckte die freie Hand in die Jackentasche, um sich zu vergewissern, dass der Schlüssel noch da war, und ging den Pfad zur Hütte hinauf. Ein kleiner Anstieg und vor ihm lag das ganze Meer. Es war dunkel, aber er fühlte den weiten Ausblick. Er erfüllte ihn immer mit einer eigenartigen Ruhe.
    Die Hütte war nur eine einfache, rot angestrichene Bretterbude gewesen, als die Familie sie vor fast zwanzig Jahren kaufte, nicht isoliert und mit Feuchtigkeitsschäden. Sobald sie es sich leisten konnten, hatte er den Schuppen abgerissen und auf den Grundmauern eine neue Hütte errichtet. Nach und nach hatten er und seine Frau sich hier ihr eigenes Paradies geschaffen. Seit den ersten Jahren, als er jede freie Minute mit Bauarbeiten verbrachte, war daraus ein Ort geworden, an dem er die Schultern entspannen, durchatmen, loslassen konnte. Ein Ort, an dem die Uhr keine Macht besaß, wo die Zeit ihren eigenen Wegen folgte, je nach Wind und Wetter und Laune.
    Er setzte die Tragetaschen auf den Schieferplatten vor der Hütte ab und holte den Schlüssel heraus. Der Lichtkegel des Leuchtfeuers traf die Hüttenwand und verschwand wieder.
    Ove Bakkerud durchlief ein Frösteln, und er hielt den Atem an. Die rechte Hand umklammerte den Schlüsselbund. Er spürte, wie sein Mund trocken wurde und eine Gänsehaut Unterarme und Nacken überzog.
    Der Lichtkegel des Leuchtfeuers wischte erneut vorbei, wie um zu bestätigen, was er entdeckt hatte. Die Tür stand eine Handbreit offen. Der Rahmen war gesplittert und das Schloss lag auf der Erde.
    Er blickte sich um, sah aber nichts als Dunkelheit. Drüben im Dickicht knackte es, wohl ein Zweig, der brach. Etwas weiter entfernt bellte ein Hund. Dann war es still. Bis auf den Wind, der im Herbstlaub raschelte, und die Wellen, die sich am Strand brachen.
    Ove Bakkerud machte zwei Schritte, packte das Türblatt am oberen Ende und zog die Tür auf. Dann tastete er nach dem Lichtschalter und knipste die Außenbeleuchtung und die Deckenlampe im Flur ein.
    Seine Frau und er hatten darüber gesprochen, dass so etwas einmal passieren könnte. Er hatte in der Zeitung von Jugendbanden gelesen, die einbrachen und die Einrichtung verwüsteten, und von eher professionellen Banden, die auf der Suche nach Wertgegenständen ganze Hüttendörfer durchkämmten. Trotzdem konnte er kaum glauben, was er jetzt sah. Es erschien ihm wie eine Verletzung dieses Ortes. Ihres Ortes.
    Am schlimmsten hatte es die Stube erwischt. Schubladen und Schränke waren geöffnet und ihr Inhalt auf dem Fußboden verstreut worden. Überall zerbrochene Gläser und Teller, und sämtliche Sofakissen achtlos hingeworfen. Alles, was sich irgendwie zu Geld machen ließ, war weg. Der neue Flachbildfernseher, die Hi-Fi-Anlage und das kleine Radio für unterwegs. Der Schrank, in dem sie Wein und Schnaps aufbewahrten, war leer. Nur eine halb leere Flasche Kognak stand noch da.
    Er bückte sich und hob das Buddelschiff auf, das normalerweise im Regal über dem Kamin
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