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Winterfest

Winterfest

Titel: Winterfest
Autoren: Jørn Lier Horst
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stand, jetzt aber auf dem Boden lag, mit einem großen Sprung in der Flasche. Zwei Masten des zierlichen Segelschiffs waren gebrochen. Er erinnerte sich an die vielen Stunden, in denen er den groben Fingern des Großvaters zugesehen hatte, wie sie es auf wunderbare Weise schafften, aus den winzigen Teilen ein echtes Schiff zu machen. An den Augenblick, als das Schiff an seinem Platz in der Flasche war und der Großvater an den Fäden zog, die die Masten aufrichteten.
    Seine Stimme zitterte, als er die Polizei anrief und seinen Namen nannte.
    »Wann waren Sie zuletzt in der Hütte?«, wollte der Beamte am Telefon wissen.
    »Vor zwei Wochen.«
    »Der Einbruch war in dem Fall also irgendwann nach dem 19. September?«
    Ove Bakkerud betrachtete die Verwüstung, die die Einbrecher hinterlassen hatten. Er fühlte sich plötzlich völlig leer.
    »Wissen Sie, ob noch in andere Hütten eingebrochen wurde?«, erkundigte sich der Polizist.
    »Nein«, erwiderte Ove Bakkerud und blickte aus dem Fenster. Drüben in der Hütte von Thomas R ø nningen brannte Licht. »Ich bin gerade erst angekommen.«
    »Wir können Ihnen morgen eine Streife schicken, die sich das ansieht«, sagte der Mann von der Polizei. »Es wäre gut, wenn Sie bis dahin möglichst wenig anfassen.«
    »Morgen? Aber …«
    »Sind Sie unter dieser Nummer zu erreichen, sodass wir Sie anrufen können, wenn wir einen Streifenwagen zur Verfügung haben?«
    Er öffnete den Mund, um zu protestieren, um zu verlangen, dass die Polizei mit Hunden und Spurensicherung ausrückte, aber er schwieg. Er schluckte, bedankte sich und beendete das Gespräch.
    Wo sollte er anfangen? Er ging in die Küche und holte Handfeger und Kehrschaufel. Dann erinnerte er sich an die Ermahnung des Polizisten, alles so zu lassen, wie es war. Er legte Feger und Schaufel weg, stellte sich ans Fenster und sah erneut zur Nachbarhütte hinüber.
    Ove Bakkerud wunderte sich, dass dort drüben Licht brannte. Im Herbst war Thomas R ø nningen nicht oft hier draußen. Mit seiner Talkshow jeden Freitag hatte er genug zu tun. Trotzdem hatte er sich die Zeit genommen, im August Ferienbeginn zu feiern. Da hatten R ø nningen und er vor dem Außenkamin gesessen, jeder mit einem Glas Kognak, und R ø nningen hatte erzählt, was vor, während und nach der Sendung hinter den Kulissen so ablief.
    Ein Schatten glitt drüben hinter den großen, erleuchteten Wohnzimmerfenstern vorbei. Die Einbrecher konnten auch dort gewesen sein. Allem Anschein nach waren sie es immer noch. Er ging rasch zur Tür und griff nach der Taschenlampe, die dort ihren festen Platz hatte. Vielleicht würde die Polizei andere Prioritäten setzen, wenn sie hörte, dass auch Thomas R ø nningen betroffen war.
    Der Pfad hinunter zum Meer wand sich zwischen Gebüsch und knorrigen Kiefern mit dichten Zweigen entlang. Das Licht der Taschenlampe fiel auf glatt geschliffene Baumwurzeln und runde Steine, was aber nicht verhinderte, dass er sich die Haut an Kiefernnadeln und Zweigen aufriss.
    Licht fiel aus den Hüttenfenstern, aber auf dieser Seite saßen die Fenster zu hoch, um hineinsehen zu können.
    Er ließ den Lichtstrahl über den Boden wandern, bevor er zur Treppe ging, die hinauf zur Eingangstür führte. Der Wind packte die Tür und schlug sie heftig gegen das Verandageländer.
    Ein mulmiges Gefühl beschlich ihn und jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Ihm wurde bewusst, dass er nichts dabei hatte, um sich zu verteidigen.
    Das Licht der Taschenlampe traf den Türrahmen. Die gleichen Einbruchspuren wie bei seiner eigenen Hütte, aber etwas war doch anders.
    Auf dem Türblatt war Blut.

2
    Es war ein langer Tag gewesen.
    William Wisting saß vornübergebeugt auf dem Sofa, die Augen fest auf den Schlüssel gerichtet, der vor ihm auf dem Tisch lag. Der Schlüssel war von Grünspan überzogen, es war lange her, seit er zuletzt benutzt worden war.
    Dann stand er auf und ging durchs Zimmer. Draußen an den Fensterscheiben saßen kleine dicke Tropfen, die Überreste des Regenschauers. Unten in Stavern jagte ein Einsatzfahrzeug durch die Straßen. Das Blaulicht schnitt rhythmisch durch die Dunkelheit, es war unmöglich zu erkennen, ob es sich um einen Streifen- oder einen Rettungswagen handelte. Wisting folgte ihm mit dem Blick, bis er den Helgeroaveien hinunter verschwunden war. Dann drehte er sich um und nahm eine Flasche aus dem Eckschrank. Soweit er sehen konnte, war es was Spanisches. Die Jahreszahl 2004 stand in goldenen Ziffern auf dem
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