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Flamingos im Schnee

Flamingos im Schnee

Titel: Flamingos im Schnee
Autoren: Wendy Wunder
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sie. Er sah verängstigt und einsam aus, wie er da seitlich auf dem grünen Viereck lag. Eins seiner schwarzen Augen war flehentlich aufgerissen, als wollte er sagen: »Lass mich hier nicht allein!«
    Er hat zu Recht Angst , dachte Cam. Sein Instinkt lag goldrichtig. Dieses Land des schönen Scheins wollte nichts mit ihm und dem, wofür er stand, zu tun haben: Dosenbier, schlechte Zähne, Migranten, Mindestlohn, null Versicherung, Blut, Schweiß und Tränen, Hardrock, Wirklichkeit, Tod.
    Denn darauf lief es schlussendlich hinaus, nicht wahr? Die Leute hatten Angst vor dem Tod. Deshalb wohnten sie in Celebration.
    Cam überlegte es sich anders und behielt Darren.
    Cam wohnte weit weg von Celebration, am Ronald Reagan Drive, in einem heruntergekommenen Bungalow mit beigem Flauschteppichboden aus den Siebzigern, grob gespachtelten Decken und so dünnen Wänden, dass sie mit Kopfhörern schlafen musste, um ihrer Mutter nicht beim Sex zuzuhören.
    Ihr war klar, dass im Denken der meisten Menschen die Wörter »Mutter« und »Sex« nicht im selben Satz vorkamen, aber leider war sie gezwungen, in der Wirklichkeit zu leben, mit einer wirklichen Mutter, die wirkliche Männer aus den künstlichen Ländern von Epcot mit nach Hause brachte. Ihre derzeitige, ein Jahr alte Eroberung war Izanagi, ein Koch aus dem Benihana-Restaurant in »Japan«.
    Der Typ war der Letzte, den Cam jetzt sehen wollte, als sie ins Haus ging, erschöpft von ihrem Arzttermin und dem Ohnmachtsanfall auf dem Parkplatz des Dollarladens. Er trug einen pinkfarbenen Kimono und hackte gerade Gemüse für ein Omelett, wobei er mit dem Messer jonglierte und ein Stück rote Paprika in Perrys Mund katapultierte. Perry klatschte wie ein abgerichteter Seehund.
    Cam versuchte, sich auf direktem Weg in ihr Zimmer zu schleichen, um ein Schläfchen zu halten, was ihr in diesem höhlenartigen Zuhause nicht weiter hätte schwerfallen sollen. Die Stalaktiten der Spachteldecke und die Stalagmiten des Flauschteppichs hätten die Geräusche ihrer Ankunft schlucken müssen, doch das Komische an ihrer Mutter war, dass sie das Ultraschallgehör einer Fledermaus besaß, sehr geeignet für ein Höhlendasein. Menschen passten sich an. Natürliche Selektion. Darwin. Evolution.
    »Campbell!«, schrie ihre Mutter aus dem Schlafzimmer. »Iss etwas. Izanagi macht Omelett.«
    »Tatsächlich? Hab ich gar nicht gemerkt. Er benimmt sich immer so unauffällig.«
    »Was?«
    »Nichts. Ich hab keinen Hunger.«
    »Cam, bitte.«
    Okay, es stimmte, sie entwickelte langsam so etwas wie eine Krebsmagersucht. Insgeheim freute sie sich nämlich darüber, dass sie jetzt Klamotten für Dünne tragen konnte, und wollte nicht wieder so viel essen. Andererseits konnte sie es nicht fassen, dass gesunde Mädchen hungerten, um auszusehen wie sie – Größe null, ein Nichts, eine Schwerkranke. Ihr altes molliges Selbst hätte wenigstens seinen achtzehnten Geburtstag erlebt.
    Cam hörte ein Hackgeräusch, dann ein Schaben und fing mit ihren schnellen Reflexen einer Feuerjongleurin die Garnele auf, die direkt auf sie zugesegelt kam.
    »Du brauchst Proteine«, sagte Izanagi.
    » Domo arigato , Mr. Roboto.«
    Cam biss ein winziges Stück Garnele ab und musste nicht einmal würgen. Wenn sie ihr Omelett mit Ketchup übergoss, konnte sie es vielleicht essen. »Ich hätte meines gern am Pool«, sagte sie, und das war kein Scherz. Sie hatten tatsächlich einen Swimmingpool. Er war der einzige Grund, weshalb ihre Mutter in dem Haus wohnen blieb, und anscheinend auch das Einzige, was sie in Ordnung halten konnte. Der Rest rottete und schimmelte vor sich hin, aber der nierenförmige Pool blitzte. Mit fünfundzwanzig hatte ihre Mom sich geschworen, nie in einem Haus ohne Swimmingpool zu leben, und so hatte Cams Dad ihr dieses hier gekauft.
    Er hatte selbst auch seinen Spaß daran gehabt und gern das gesamte Ensemble von der Aloha-Show zu Partys eingeladen, wenn die Außentemperatur unter zehn Grad fiel, denn nur dann sagte Disney die Freiluftshow ab.
    Cam vermisste das und noch so vieles andere, das mit ihrem Vater zusammenhing.
    »Hallo, Süße«, begrüßte ihre Mom sie, deren gewellte, taillenlangen Haare in der Sonne glänzten, als sie auf die Terrasse trat, um ihr das Omelett zu bringen. Alicia war eine Bauchschläferin, was viel über eine Person aussagt. Nur sieben Prozent aller Menschen auf dieser Erde schlafen auf dem Bauch, und Bauchschläfer sind eitel, gesellig und übersensibel. Und kleinbusig offensichtlich,
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