Fischland-Rache
heraushalten würde und sie sich die Waffe selbst besorgen musste, wie sie es Mona gegenüber von Anfang dargestellt hatte.
Mona wiederum war erschüttert gewesen, dass Heinz so schnell gefasst worden war. Sie hatte gleich befürchtet, dass das Paul und Kassandra auf den Plan rufen würde â und es nicht nur wegen des vermeintlichen Verhältnisses von Inga und Mirko für besser befunden, eine Zeit lang Abstand zu halten. Als Mona weg war, bekam Inga Befürchtungen, dass sie zur Polizei gehen könnte, wenn sie weiterhin glaubte, Inga würde sie mit Mirko betrügen. Rache konnte vieles in den Schatten stellen, sogar die eigene Schuld. Das war Inga schlieÃlich selbst nicht fremd. Sie hatte aber auÃerdem begriffen, wie viel ihr tatsächlich an Mona lag und dass sie sie nicht verlieren wollte. Aus allen diesen Gründen erzählte sie ihr nach und nach, wie die Dinge lagen. Nur Ralfs Anwesenheit auf dem Hohen Ufer verschwieg sie ihr, ebenso wie Mirko. Er und Mona hatten nie Zweifel daran gehegt, dass Sascha von Inga erschossen worden war.
Gefühle waren auch für Mirko eine seltsame Sache, der aus der ganzen Geschichte wahrscheinlich mit einem blauen Auge davonkommen würde â abgesehen von dem Wechselbad der Gefühle, in dem er sich befand, wenn er daran dachte, was seine Schwester und sein Adoptivvater getan hatten. Ralf Petersâ Beerdigung war fast so groà ausgefallen wie Saschas, wozu Mirko etwas sarkastisch angemerkt hatte, dass Ralf von so viel Anteilnahme überwältigt gewesen wäre. Zwei Wochen danach hatten Paul und Kassandra sich mit Heinz und Mirko getroffen, der ihnen eröffnet hatte, dass er bis zum Beginn seines geplanten Jurastudiums die Galerie weiterführen wollte. Einige Verträge mussten ohnehin noch erfüllt werden, und je länger er sich damit beschäftigte, desto mehr gefiel ihm der Gedanke und desto mehr Ideen kamen ihm dazu. Paul hatte daraufhin gemeint, er kenne da eine vielversprechende Fotografin â und Mirko hatte aufrichtig interessiert nach Kassandras Arbeitsproben gefragt. Später, als sie nur noch zu dritt gewesen waren, hatte Heinz festgestellt, dass diese Mischung aus Kreativität und Bodenständigem vielleicht sogar genau das Richtige für Mirko sei und dass die Zeit zeigen würde, was die Zukunft für ihn bereithielt.
Mittlerweile war zu den Kreisen auf der Fensterscheibe eine Sammlung von Dreiecken und Quadraten hinzugekommen. Kassandra wischte ihre Kunstwerke mit dem Ãrmel fort und betrachtete endlich bewusst die See, die an diesem Tag so blau und trügerisch spiegelglatt dalag, als könnte sie sich niemals bei Windstärke zwölf aufbäumen, gegen das Land krachen, Schiffe zum Kentern bringen und Leben nehmen. Sie seufzte leise. Gleich darauf wurde sie von einem Klingeln an der Tür und danach einsetzender Betriebsamkeit im Haus aus ihren Gedanken gerissen. Heute war Silvester, sie erwarteten Gäste â vermutlich das Beste, um sich abzulenken. Unten bat Paul gerade Heinz herein, und Kassandra lächelte vor sich hin. Immerhin ein Gutes hatte Saschas Tod bewirkt: Es gab nichts mehr, was einer vorsichtigen Freundschaft zwischen Paul und Heinz im Wege stand, inzwischen kannte Heinz auch die ganze Wahrheit über jene Dezembernacht vor dreiunddreiÃig Jahren.
Kassandra löste sich vom Fenster und ging nach unten. In der Küche war Paul dabei, Kaffeepulver in die Maschine zu häufen, während Heinz die mit klebrigem Zuckerguss überzogenen Pfannkuchen, die er mitgebracht hatte, auf einen Teller legte. Er sah auf, als Kassandra die Treppe herunterkam, und zwinkerte ihr zu. Sein linkes Auge war wieder völlig in Ordnung, seine Rippenbrüche spürte er noch, aber auch das wurde besser. Als Nächster trudelte Bruno ein, dessen Schulterwunde ebenfalls verheilt war, wenn ihn die Nachwirkungen beim Angeln auch noch hin und wieder behinderten. Bald darauf saÃen sie am Esstisch und redeten über alles Mögliche, nur nicht über den Fall. Da klingelte es erneut. Am Abend würden zwar noch Violetta, Jonas und seine Freundin Marlene kommen, die er im Urlaub kennengelernt und deren Motorrad eine so wichtige Rolle gespielt hatte â aber zum Kaffee erwarteten sie niemanden mehr. Die letzte Zeit hatte viele unliebsame Ãberraschungen für sie bereitgehalten, daher stand Kassandra nur widerstrebend auf, um zu öffnen.
»Tag, Frau
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