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Fischland-Rache

Fischland-Rache

Titel: Fischland-Rache
Autoren: Corinna Kastner
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wünschte sie, er würde diese Datei nicht anklicken, sondern seinen Bruder weiterhin stumm in der Finsternis schmoren lassen.
    In einer langsamen Bewegung griff Paul nach seiner Lesebrille, setzte sie auf – und öffnete die Datei.
    Es war ganz offensichtlich ein Brief, und wie auf Kommando zogen sich Kassandra, Bruno, Heinz und Dietrich zurück, um Paul seine Privatsphäre zu lassen. Er begann zu lesen, doch schon bald drehte er sich auf seinem Stuhl um, das Gesicht vollkommen starr.
    Â»Ich glaube, das ist für alle interessant. Wir können uns schlecht zu fünft um das Notebook scharen, also lese ich das vor, wenn niemand was dagegen hat.«
    Â»Sind Sie sicher, dass …«, begann Dietrich.
    Paul schnitt ihm mit einer Geste das Wort ab. »Bin ich.« Er drehte sich wieder um, räusperte sich und begann. Vor einigen Monaten hatte er zu Kassandra gesagt, er mache keine Lesungen, weil sonst sein Pseudonym nicht länger gewahrt bliebe und weil er nicht gut lesen könne. Er wusste anscheinend selbst weder um die Wirkung seiner Stimme beim Lesen noch um sein Talent, Wörter – und Menschen – zum Leben zu erwecken. Während er las, lief Kassandra eine Gänsehaut über den Rücken, weil sie den Eindruck gewann, Sascha wäre mitten unter ihnen.
    Paul,
    da Du das hier liest, dürfte ich tot sein. Ich würde zu gern wissen, wer mich nun ins Jenseits befördert hat. Entschuldige die Wiederholung, aber: Da Du das hier liest, warst Du es vermutlich nicht. Oder die Bullen haben Dich nicht erwischt. Andererseits: Jemand, der so anständig ist wie Du, würde niemanden umbringen, nicht mal jemanden, den er so hasst wie Du mich. Oder hasst Du mich gar nicht? Wahrscheinlich bist Du selbst dazu zu anständig und verachtest mich eher. Weißt Du, ich habe mich immer gefragt, wie Du das machst. So anständig sein. Das war schon ziemlich lästig, wenn es auch ein einziges Mal wiederum … hilfreich gewesen ist. Wie dem auch sei – Du bist mein Bruder, und auch wenn es Dir schwerfallen sollte, das zu glauben: Das bedeutet mir was. Du bedeutest mir was. Also: Ich hoffe, Du hast Dich nicht von mir provozieren lassen. Und verzeihst mir, dass ich es trotzdem versucht habe. Du kennst mich: Ich halte mir gern alle Optionen offen.
    Wenn ich Dich nicht so weit bringen konnte, dann jemand anderen. Mein Tipp wäre Inga, obwohl ich mich dafür nicht mal mehr sonderlich anstrengen muss. Sie hat mich aufs Fischland bestellt, und ich glaube kaum, dass sie mich tatsächlich erpressen will. Eine kluge Frau wie sie sollte wissen, dass ich blank bin. Pleite. Am Ende. Ich kann mir kaum noch die Miete für meine mickrige Wohnung in diesem Wohnblock leisten. Aber ich beklage mich nicht. Habe ich nie getan, ich habe immer gehandelt. Hat diesmal leider nichts gebracht, ich komme nicht mehr auf die Füße, jemand hat mich ausgeschaltet, und zwar gründlich und endgültig.
    Wo war ich? Ach ja, Inga. Inga Lange, die Star-Köchin. Falls sie es war, wird sich ihr Motiv inzwischen rumgesprochen haben. Falls sie es nicht war, mach Dir trotzdem die Mühe und finde ein bisschen mehr über sie raus. Könnte sich für Dich lohnen.
    Meine nächste Option heißt Clemens Meisner, Du weißt schon, unser schwuler Meisterorganist. Wusstest Du nicht? Man lernt eben nie aus. Den jedenfalls habe wiederum ich nach Wustrow bestellt, und ich wette, er kommt. Er hat zu viel Schiss um seinen genauso schwulen Therapeuten-Freund, könnte reichen für eine Verzweiflungstat an der Nebelstation. Clemens kriegt seine Chance übrigens nach Dir und vor Inga, wenn alles nach Plan verläuft.
    Dann wäre da Ralf. Die Mühe könnte ich mir eigentlich sparen, der Jammerlappen bringt es bloß fertig, was Unmoralisches zu tun, wenn er hundertprozentig sicher sein kann, dass nichts schiefgeht. Aber wo ich schon mal da sein werde … Falls Du Dich fragst, was sein Geheimnis ist, das er gern für immer gehütet haben möchte – so sehr, dass er dafür vielleicht, möglicherweise, eventuell, wenn es denn völlig risikolos wäre, tötet: Du findest es raus, wenn Du Dich mit Inga beschäftigst.
    Schließlich gibt es noch jemanden, der einen exorbitant guten Grund hätte, mich umzubringen – wahrscheinlich sogar den …
    Paul stockte mitten im Satz und schien sich instinktiv umdrehen zu wollen, doch er hielt sich
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