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Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen

Titel: Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen
Autoren: Wolfram Eilenberger
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etwas anderem. Kartoffeln, das ist es, was Aulis und seine Brüder wollen. Sie werden an den Nudeln und Salaten vorbeigehen, die
Krabbencocktails und das Tiramisu nicht einmal ansehen. Kartoffeln, immer wieder Kartoffeln, das Einzige, was sie wirklich satt macht. Ich kenne das - von meinem Vater und seinen Brüdern.
    Noch bevor Aulis sich mit seinen zwei Metern aus dem Fiat 500 gewunden hat, brüllt Mummi ihre Frage hinunter. Irgendwas mit peruna und puhelin . Ob er die Cateringfirma wegen der Kartoffeln noch einmal angerufen habe?
    » Juu« , seufzt Aulis, verschwindet in seinem pömpeli , kehrt bald darauf mit einem 25-Kilo-Sack Kartoffeln über der Schulter zurück und wuchtet ihn in den Kofferraum.
    Ich wäre ihm wirklich gern zur Hand gegangen. Aber mich bittet er seit Jahren nicht mehr um Hilfe.

GLÜCK
    T urun rautatieasema.«
    Die ersten Worte seit Stunden. Wie in einem Stummfilm sind wir vom Flughafen Helsinki durch die Nacht gefahren. Kein Willkommen, keine Routenhinweise, keine Minibar-Schnickschnack-Angebote. Selbst der Bus glitt vollkommen lautlos über schneebedeckte Autobahnen.
    Finnland, es geht nach Finnland! Wie gerne habe ich es jedem erzählt. Und wie herzlich mich ein jeder beglückwünschte. Klar, es ist 1995, und Suomi, wie die Finnen ihre Heimat nennen, ist auf dem Weg nach oben. Nicht einmal die Tatsache, dass sich seit sieben Jahren kein Heidelberger Student mehr auf den Erasmus-Platz beworben hatte, vermochte meine Euphorie zu bremsen. Im Gegenteil. Ich nahm es als Bestätigung - glasklare Avantgarde eben.
    Das Motivationsschreiben könne ich mir sparen, erklärte die Dame am Beratungsschalter, und wenn ich wolle, sofort losfahren. Das habe ich dann auch getan. Es gibt sie nun mal, die Frau, für die man in die Fremde
geht. So wie es die Fremde gibt, für die man seine Frau verlässt.
    »Turku ist die schönste Stadt Finnlands«, hatte mir Tante Vera noch mit auf den Weg gegeben.
    Mag ja sein. Aber auf den ersten Blick wirkt es wie eine Tiefkühlversion von Karl-Marx-Stadt. Ich bin nicht der Stadt wegen gekommen. Im signalroten Overall, mit selbst gestrickter Wollmütze und den Händen in den Taschen springt meine finnische Frau von einem Bein aufs andere. Ein letzter Blick auf die Leuchtanzeige. 23:33 h, -37°C.
    Ich gestehe mir ein, Angst zu haben, und steige aus.
     
    »No moi! Tervetuloa Suomeen!«
    » No moi, Süße . «
    Der erste Kuss löscht alle Furcht und Zweifel. Während der Busfahrer nach den Koffern wühlt, merke ich, wie mir die Nasenflügel zufrieren. Jeder Atemzug ein stechender Schmerz, die Kälte kommt von innen, dringt durch die Knochen in den Körper und ist plötzlich überall. Das ist sie, die Natur als Feind. Sekunden gefrieren zu Minuten. Ich zittere, halte mir die Hände vor das Gesicht. Meine Frau legt schützend die Overallarme um mich und flüstert mir ins Ohr: »Du hast Glück, soll das morgen noch kälter werden.«
    Wahr. Es ist Januar, und der Winter hat gerade erst begonnen. Von all dem weiß ich natürlich noch nichts. Es wäre mir wahrscheinlich auch egal gewesen. Pah, soll er doch kommen, der Winter! Wenn es nach mir geht, werde ich die nächsten Monate sowieso vorrangig drinnen
verbringen. Wer braucht schon eine Außenwelt, wenn er eine finnische Frau hat?
    Nur schnell nach Haus jetzt, doch, doch, natürlich nehmen wir ein Taxi, ich zahle das, kein Problem. Das Taxameter ist als Digitalbild in den Rückspiegel integriert. Nicht schlecht!
    Wir halten uns an den Händen, glücklich in einer klaren Mondnacht.
     
    »Siehst du das, der Blau?«
    »Ja, ich sehe es.«

SAN MIGUEL
    A bgesehen von zwei zahnlosen rauchenden Rentnern in schwarzen Strickjacken sind wir die einzigen Gäste. Antonio wischt zum x-ten Mal mit seinem Handtuch über den Aluminiumtresen.
    »Otra?«
    » No, gracias.«
    Seit gut einer Stunde nippen wie an unseren 0,2-Liter-Fläschchen San Miguel und starren gebannt auf den Fernseher in der linken oberen Ecke der Peña. Endlich ist Jesulín an der Reihe, der schöne, stolze, tapfere - unser Jesulín. Vor zwei Wochen haben wir ihn im Nachbardorf zum ersten Mal live kämpfen sehen und konnten es kaum fassen, als die Damen tatsächlich damit begannen, ihre Unterwäsche in den blutgetränkten Sand der Arena zu werfen.
    »Das machen die nur in Barbate. Die Frauen sind da ein bisschen loco « , erklärt Antonio und wischt mürrisch weiter.
    Der Paso Doble des letzten Tercio, Jesulín tanzt mit dem Stier.

    »Toro bravo!«
    Meine finnische Frau
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