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Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen

Titel: Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen
Autoren: Wolfram Eilenberger
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meiner finnischen Frau sowie sämtliche seiner zehn Geschwister - Yrjö also eingeschlossen. Zwar nicht exakt auf diesen Hölzern, doch genau an diesem Ort, gewärmt von diesen Steinen, diesem speienden Ofen, einer Handanfertigung des Jahres 1897, geschmiedet von Salminen Eero, eine Art Stradivari unter den Saunameistern Mittelfinnlands, der bis heute für den besonders sanft angehenden, dafür aber umso nachhaltigeren löyly seiner Öfen gerühmt wird.
    Noch immer kommt uns die Hitze in weichen Wellen entgegen. Das Thermometer, rostig und müde, zittert wie je auf irgendeinem Unsinnswert weit über 100 °C, und der Schmerz zieht bis tief unter die Fingernägel.

    Selbst das Holz beginnt nun zu schwitzen. Ich zähle, nur um bei Sinnen zu bleiben, die bernsteinfarbenen Harzwarzen in meiner Ecke und spüre, wie das von der Familie meiner Frau bevorzugte Teershampoo ( tervashampoo ) beginnt, sich durch meine Kopfhaut direkt ins Stammhirn zu fräsen.
    »Noch einmal?«, fragt meine Frau, als ich vorsichtig nach der Birkenquaste taste, um den einen Schmerz mit dem anderen zu stillen, und wirft dem Tier eine weitere Kelle in den Rachen.
    Sie will dich prüfen, denke ich, ein allerletztes Mal.
     
    Es ist, darf ich sagen, durchaus nichts Ungewöhnliches, dass betrunkene Menschen mit dem Finger auf meine finnische Frau zeigen oder Kleinkinder oder Einwohner deutscher Provinzstädte wie etwa Bamberg. Aber dass eine Gruppe dösender Bahnhofsalkoholiker erregt von der Bank aufspringt und unter den Ausrufen » Tämä on Pia, Pia Päiviö « zu lang anhaltenden und keineswegs ironischen Standing Ovations ansetzt, hatte ich bisher noch nicht erlebt.
    »Woher kennen diese Herren dich denn?«, will ich von der Gefeierten wissen, als wir aus dem Bahnhof in die Dunkelheit treten.
    »Ach, weißt du, im Winter kommen der immer in der Sporthallen, um sich zu wärmen, und hier in Lappeenranta wohnte früher auch die Nationaltrainer. Deshalb habe ich mir da immer besonders angestrengt.«
    »Verstehe«, flüstere ich unter meiner Kapuze und versuche die Tatsache einzuordnen, eine Frau zu lieben, die
unter Obdachlosen Ostfinnlands einen marienähnlichen Status genießt.
    Nur weiter jetzt, Zähne zusammenbeißen, nicht stehen bleiben, es soll ja gar nicht weit sein, höchstens ein, zwei Kilometer, wurde mir zugesichert. Das könnten wir locker laufen.
    Trotzdem, nichts fällt leicht im November. Es ist Nachmittag, also Nacht, und von Russland her peitscht uns Schneeregen ins Gesicht. Diese Reise war nicht meine Idee, so viel steht fest. Sechs Stunden Zugfahrt von Turku gen Osten, und noch vor Mitternacht soll es wieder zurückgehen. Im Schlafabteil mit zweimal umsteigen, verdammter Blödsinn. Aber irgendwann wollte die Frau, die seit gut zwei Jahren unseren Pendelverkehr zwischen Turku und Heidelberg finanziert, uns dann doch einmal als Paar zu Gesicht bekommen.
    Nach tiefster Überzeugung von Großmutter Anu ist es für eine junge Liebe tödlich, länger als drei Monate voneinander getrennt zu bleiben. Und die Frau kennt sich mit Männern aus. Zwei Ehegatten und drei feste Freunde hat sie mittlerweile überlebt. Derzeit wohnt sie mit einem pensionierten Briefträger zusammen, den sie per Kontaktanzeige kennenlernte. Otto ist achtundneunzig Jahre alt. In seinen jungen Jahren, erzählt mir meine Frau auf dem Weg durch das graue Nichts der Stadt, hat er Lenin persönlich getroffen - während dessen Exiljahren in Helsinki und also lange vor der Oktoberrevolution. Da gäbe es bestimmt viele spannende Geschichten zu erzählen.
    »Ist das schon Russland?«, will ich wissen, als wir nach
einer Stunde Fußmarsch den Asphalt verlassen, um in eine weitgehend unbeleuchtete Straße einzubiegen, in der sich ärmlich anmutende Holzhäuschen schemenhaft aneinanderreihen.
    »Das sind rintamamiestalot« , erklärt meine Frau, was wörtlich übersetzt etwa Frontsoldaten-Häuser heißt.
    Während des Winterkrieges wurden finnischen Soldaten, die bereit waren, in der allerersten Verteidigungslinie zu kämpfen, solche Häuser als Belohnung versprochen. Und wer überlebte, bekam dann auch tatsächlich eines.
    Die Tür ist nicht abgeschlossen. Eingehüllt in eine feldgraue Filzdecke und mit Lockenwicklern in den Haaren heißt uns Anu-Mummi aufs Herzlichste willkommen, ja gibt mir sogar die Hand und lächelt durch ihre solide umrandeten Marmeladengläser. Nach einer Viertelstunde munteren Hin und Hers begreife ich, dass es sich bei diesem gewissen »Herrn
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