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Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen

Titel: Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen
Autoren: Wolfram Eilenberger
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graue Nebel reichen uns bis an die Knöchel, der Wald ringsum köstlich betaut von der Ahnung des Morgens.
    Ich sehe Impi, breit ausgestreckt auf dem Steinsockel des Brunnens. »Pull, Markus! Pull!«, befiehlt sie, und ich sehe Markus, wie er letzte Kräfte sammelt, ihrem Wunsch gerecht zu werden, und das eiskalte Wasser aus zwanzig Metern Tiefe in forschen Schüben über ihre vollen Brüste gießt. Ich sehe Mette im Netzhemd, schmal und schön, wie sie mit drei brennenden Fackeln jongliert, und weit dahinter wohl wieder vereinzelte Körper, köstlich hingestreckt im Gras genießen sie einen Himmel so tief und blau und weit gespannt, wie er gar nicht existieren dürfte. Ein letztes Bild zeigt Gabriele. Mit nichts als dem Trikot des AS Rom bekleidet sitzt er im Schaukelstuhl meiner zukünftigen Schwiegermutter und studiert konzentriert Strickmagazine aus den frühen
Sechzigerjahren, als ob darin die Antworten auf all seine Fragen zu finden wären.
    Gegen Mittag, als alles erwacht, finden wir Markus auf der Schwelle. Mit letzter Kraft hat er sich zurück zum Mökki geschleppt oder ist dort abgelegt worden - niemand vermag es zu sagen; bäuchlings liegend, mit zwei bedrohlich tiefen, noch immer blutenden Striemen auf dem Rücken, wie von den Pranken eines Bären. Von Impi und Eva aber fehlt jede Spur.
    »Unglaublich, einfach unglaublich«, wiederholt er ein ums andere Mal, als ich seine Wunden mit finnischer Teercreme einreibe, den Geschmack von Svens rauchiger Zunge noch immer in meinem Mund.
    Aber das blieb alles, was er für Tage von sich geben sollte, und bis heute verweigert er zu der »Nacht der beiden Bären« jede Erklärung. Nur ob Impi auch zur Hochzeit komme, wollte er am Telefon wissen, und da nicht klar war, welche Antwort er hören wollte, logen wir: Nein.
    Kurz, um die Sauna meiner zukünftigen Schwiegereltern trugen sich in dieser späten Julinacht des ausgehenden Jahrtausends Dinge zu, von der Art, wie sie erwachsene Menschen einander Jahre später bei einem Glas Erdbeerbowle schmunzelnd zu verschweigen pflegen und sich im Stillen doch beglückwünschen, damals mit dabei gewesen zu sein …

FRIEDEN
    D er Blick auf den See. Junge Birken flimmern im Wind. Zwei Bilche, kleine Schlafmäuse, die beim Anblick meines dampfenden Körpers Schutz in der Weite der Heidelbeersträucher suchen. Ich spüre, wie die Hitze meinen Leib verlässt, die Atmung weiter wird. Sauna ist Frieden, schnitze ich im Geist ein neues Holztäfelchen.
    Man muss das auch mal politisch betrachten. Ich meine, was, wenn die Mächtigen dieser Welt vor jeder Verhandlungsrunde erst einmal ins Schwitzbad gingen? Netanjahu und Arafat - Nordirland und Bosnien, Nordund Südkorea, Indien und Pakistan, die Welt wäre ohne Zweifel ein friedlicherer Ort, das Kyoto-Protokoll längst unterzeichnet, Landminen geächtet, der Blauwal gerettet. Jedenfalls ist es schlicht undenkbar, dass zwei Nationen einander den Krieg erklären, wenn deren Führer zuvor gemeinsam gesaunt haben.
    Urho Kekkonen und Nikita Chruschtschow, die wussten das. Jahrelang trafen sie sich in der Sauna. Die finnische Neutralität wurde dort besiegelt. In einer finnischen Sauna, das ist bewiesen, wurde die Idee zu den
ersten vertrauensbildenden Maßnahmen zwischen Ost und West geboren, das Helsinki-Protokoll, die KSZE-Akte, Brandt und Walesa - nur so konnte es letztlich zur Perestroika kommen, schließlich zur Wiedervereinigung. Kein Zweifel, der kalte Krieg wurde in der Sauna entschieden, der löyly gab die entscheidenden Impulse. Finnland hat die Welt gerettet.
    »Ohne Sauna wäre es zum Atomkrieg gekommen«, sage ich nach stillen Minuten zu der nackten Frau im Campingstuhl neben mir.
    » Juu , das kann sein«, erwidert sie, als hätte ich etwas vollkommen Verständliches von mir gegeben.
    Meine Meisterin, Medizinfrau und Schamanin, da läuft sie hinunter zum See, jenes Wesen, das ich lieben und begehren will, bis wir in Decken gehüllt an kleinen Tischen Blaubeersuppe löffeln.
    »Kömm, Kuckelmann«, streckt sie mir die wahrscheinlich längsten Frauenarme Finnlands entgegen. »Das See wird dir guttun.«
    »Der See, Schöne. Der See.«
    Das wird er, das wird er ganz bestimmt. Hand in Hand tippeln wir hinunter zum Steg, mein Kopf an ihrer hohen Schulter.

JÄRVI - DER SEE

STICHE
    W ahrscheinlich ist das Freiheit. Einfach springen. Nicht denken, nicht zögern, einfach springen. Jetzt - zum Beispiel. Oder jetzt , das reicht auch noch. Möglich wäre es, das ist klar. Ich müsste
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