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Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen

Titel: Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen
Autoren: Wolfram Eilenberger
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Kuckelmann«, der das Zentrum des Gesprächs bildet, um meine Person handelt.
    Otto ist auch zu Hause. Aber besuchen kann man ihn nicht, nur noch besichtigen. Als wir in das Wohnzimmer treten, ruht er mit dem Gesicht zum Polster auf dem Sofa. Der Fernsehapparat läuft auf voller Lautstärke, immer wieder bricht das Bild knirschend in sich zusammen. Derrick im Original mit russischer Simultanüberblendung. Habe ich so auch noch nie gesehen.
    Ob Otto denn Russisch verstehe, lasse ich durch meine Frau fragen. Nein, er ist so gut wie blind, brüllt sie nach kurzem Austausch mit ihrer Großmutter zurück.
    Niemand gewinnt den Eindruck, er habe von unserer Präsenz Kenntnis genommen.
    Trotzdem, es wird ein schöner Abend. Wir sitzen in der kleinen Holzküche an einem kleinen Holztisch auf kleinen Holzschemeln und trinken schwarzen Tee aus kleinen Gläsern. Anu-Mummi bringt karelische Piroggen, Eierbutter mit Senf sowie eine Beilage aus zwei Salatgurken- und zwei Tomatenscheiben, die in Finnland allgemein als salaatti bezeichnet wird.
    Großmutter erzählt, ich nicke freundlich, und meine Frau übersetzt, wozu sie Lust hat und was ihr opportun erscheint. Vom Führer zum Beispiel, den Anu anno 1942 auf dem Bahnhof von Kouvola persönlich gesehen hat. Eigens zum fünfundsiebzigsten Geburtstag von Feldmarschall Mannerheim (sprich: Mannerhäijm) war er aus Berlin angereist. Alles abgesperrt, klar. Zwei Stunden musste sie deshalb auf dem Nachbargleis im Abteil warten, mit fünf Kindern im Gepäck.
    »Oli pikku, pikku mies« , ein sehr, sehr kleiner Mann, wie sich Anu-Mummi erinnert, und ich gebe mir alle Mühe, das nicht als Anspielung und persönlich zu nehmen.
     
    Wir sind bereits bei der Heidelbeersuppe, als Otto mit einem Mal wie ein Bär im Türrahmen steht. Erst jetzt erkenne ich das riesige, teerfarbene Melanom auf seiner Glatze.
    Er zeigt zielsicher auf mich. » Onks tämä Herr Kuckelmann?«
    Ja, das ist er, bestätigt meine Frau, und als ich mich
erhebe, um ihm die Hand zu reichen, nimmt Otto Paradeposition ein und gibt ein vollends akzentfreies »Willkommen, Kamerad!« von sich. Konkrete Befürchtungen, er könne nun den rechten Arm heben, bestätigen sich allerdings nicht.
    Nein, Otto hat gesagt, was zu sagen war, dreht ab und macht sich auf den langen Marsch zurück ins Wohnzimmer.
     
    Das liegt ein Leben zurück. Bald nach Ottos Tod zog Anu-Mummi ins Heim, und als wir sie vor Monaten besuchten, war alles, was meine Frau tun konnte, zärtlich ihre Hand zu streicheln. Nun geht es zu Ende, sagen die Ärzte. Jede Stunde könnte die letzte sein. Leben, schwitzen, sterben. Schweigen.
    »Sie hat ihr Leben gehabt«, sagt meine finnische Frau nach einer langen Pause in die Hitze und ist mir in diesem Moment wieder einmal um so vieles fremder, als ich es mir wünschen würde.

HITZE
    D ie Finnen sind schon einmal vorgegangen, Lagerfeuer machen - Anssi, Frederickson, Sami und Lauri, die ganze Bande aus dem yo-kylä eben. So sitzen wir also nur noch zu viert auf der obersten Pritsche: Markus und Sven, aus Heidelberg zu Besuch, und mein italienischer Erasmus-Kollege aus dem ersten Semester, der noch immer in Finnland studiert, obwohl sein Stipendium vor mehr als zwei Jahren auslief. Wie Brüder reichen wir die himmelblaue Plastikkelle von Hand zu Hand und lassen das eiskalte Brunnenwasser behutsam die Nacken hinunterrinnen. Den Trick habe ich von Aulis gelernt.
    »Und Gabriele: Blutpenis oder Fleischpenis?«, fragt Markus mit der Kelle in der Hand.
    »Was meinst du?«
    »Na ja«, erläutert Markus, »es gibt nun einmal zwei Arten von Penissen. Die einen sind im Ausgangszustand eher klein bis mittel, können sich dann aber in ihrer Größe verdoppeln oder sogar verdreifachen. Der Fleischpenis hingegen weist bereits im Normalzustand eine beachtliche Größe auf, vermag dann aber kaum
noch zuzulegen, ja, es kommt sogar vor, dass er im erigierten Zustand an Länge einbüßt.«
    Sven nickt bei jedem Satz. Genau so verhält es sich. Ob, was ja eigentlich gar nicht sein könne, Gabriele als Italiener von dieser Mutter aller Unterscheidungen tatsächlich noch nie etwas gehört habe?
    Hat er nicht. »Blutpenis«, bekennt Gabriele, nachdem uns eine weitere, übermäßige Aufgusswelle zu langem Schweigen genötigt hatte. »Und du, Markus?«
    »Na, hör mal«, antwortet der nach einem kräftigen Schluck aus seiner Lapin-Kulta-Flasche. »Fleischblutpenis, mein Freund, Fleischblutpenis!«
    Gabriele findet das nicht besonders lustig. Wir
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