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Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen

Titel: Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen
Autoren: Wolfram Eilenberger
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allerdings schon. Vermutlich ist das deutscher Humor. Ein weiteres Mal wandert die Nackenkelle samt Bierflasche von Hand zu Hand.
    »Keine Angst, die kommen schon noch«, wischt Sven sich den Schweiß von der Stirn und wirkt ausgesprochen zuversichtlich.
    »Fixiert euch aber nicht darauf, sonst kommen wir hier drin am Ende noch um.«
    Überhaupt, in meiner Rolle als finnischer Hausherr, isäntä, kann ich derlei Gespräche und Pläne nicht gutheißen. Sexuelle Fantasien haben in der Sauna nichts verloren. Jedenfalls glaube ich das. Jedenfalls hat mir meine finnische Frau das so beigebracht. Aber genau weiß ich es nicht. Die meisten Finnen schweigen, sobald ich die Sauna betrete, und selbst wenn sie miteinander sprechen, verstehe ich nicht, worüber.

    Sven denkt sowieso nicht daran, sich irgendeinen kulturellen Zwang anzutun, und beginnt nun, die finnischen Freundinnen meiner Frau zu evaluieren, die sich keine hundert Meter entfernt in der Mökki-Küche bei heimischem Tango und Sumpfbeerenlikör auf ihren eigenen Saunagang einstimmen. Vor allem unsere anmutige WG-Genossin Mette, die an Finnlands einziger Zirkusschule Artistik studiert, wird gepriesen, wobei sich Markus eher für Eva und Impi, das voluminöse Schwesternpaar vom Polarkreis, erwärmt - fleischgewordene Kultskulpturen aus früher Bronzezeit. Er stehe nun einmal auf frauliche Formen. Eva studiert Medizin in Helsinki, und Impi hat in Rovaniemi gerade eine Ausbildung zur Astralheilerin begonnen.
    »Ui, klingt superspannend«, nickt Markus und prustet den letzten verbliebenen Schluck Lapin Kulta auf den Ofen.
    Nur Gabriele, mein Erasmus-Freund aus dem schönen Florenz, schweigt zunächst. Er hatte seinen Studienaufenthalt extra noch einmal verlängert, war sogar mit Sanna zusammengezogen, doch vor einem Monat hat auch sie sich völlig überraschend von ihm getrennt. Sie sei einfach noch nicht so weit.
    Gabriele erzählt von seinen ersten Wochen in den Partykellern Turkus. Wie im Himmel sei das gewesen. Sie hätten ihn einfach angesprochen und meist noch am selben Abend gewollt, einfach so: Incredibile! Er erzählt von Overallpartys ohne Overalls, zudringlichen E-Mails seiner Dozentinnen, von Tuulas Eltern, die sich geweigert hatten, ihm auch nur die Hand zu geben, von Viivi,
die nach einem halben Jahr per SMS von Italien aus Schluss gemacht hat. Immer nur er, das wisse er heute, habe sich verliebt, immer nur er.
    »You know, they just used me. They used me for sex«, fasst er seine finnischen Beziehungsjahre zusammen.
    Markus und Sven simulieren ehrliche Anteilnahme, obwohl das alles natürlich wie Musik in ihren Ohren klingt. Sie hatten von Anfang an klargestellt, nicht meinetwegen zu Besuch gekommen zu sein.
    »Es ist eine andere Kultur, gerade was das betrifft, wirklich ganz anders«, sagt Gabriele mehr zu sich selbst, doch nun kommen sie leibhaftig, die Finninnen.
    Unter munteren Gesängen, »Illalla! Illalla!« (Heute Nacht! Heute Nacht!), stürmen sie die Sauna, während wir vier unser Bestes geben, überrascht und sogar ein bisschen empört zu wirken. Eng wird es plötzlich und lebhaft, der Gesprächsabstand beträgt jetzt definitiv dreißig Zentimeter weniger als im europäischen Durchschnitt und weit und breit ist kein hän in Sicht. Impi rückt auf zu Markus, der ihr irgendetwas von anfänglichen Problemen mit dem löyly erzählt, was leider zu großen Verzögerungen geführt habe (»Yes, yes!«), und dass es ihm, seit er sich auf das zweite Staatsexamen vorbereite, immer so am Rücken zwicke, genau hier nämlich, da wirke die Sauna natürlich wahre Wunder. (»Yes, yes!«)
    Heran stürmen Anssi, Jason und Frederickson mit einem Schubkarren, auf dem sich drei 5-Liter-Kanister edlen bulgarischen Rotweins befinden, und gelangen schweigend zu dem Schluss, der Aufguss sei noch kräftig
genug und rechtfertige also auch für sie einen erneuten Gang.
    Von irgendwoher wirft irgendjemand (Sven?) eine beißende Flüssigkeit auf den Ofen. Zwanzig Menschen auf 5 m 2 , es ist wie in der Konfirmandendisko, nur ohne Kleider, und ich spüre, wie meine finnische Frau mir sanft das Ohrläppchen krault und dabei ein leises » voi, voi « ins Ohr flüstert, wir beide gleichsam nur eine Welle in einer uns umschäumenden Flut von Nacktheit.
    Es ist nicht leicht, die folgenden Geschehnisse in Worte zu fassen, zumal nun alle Erinnerung in einzelne Bilder oder Sekundensequenzen zerfällt. Getaucht in das unwirkliche Licht der Sommernacht stehen wir im Dämmerschein. Feine
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