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Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen

Titel: Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen
Autoren: Wolfram Eilenberger
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nach durchaus berechtigt schien.
    Den ganzen Tag schon befeuert man uns mit orientierenden Thesen darüber, was er so tut, denkt, glaubt, liebt, verachtet und ersehnt, er, der Finne an sich beziehungsweise die Finnin an sich.
    Merke: Die finnische Sprache kennt kein Geschlecht, alles und jedes ist ein neutrales hän!
    Zur abschließenden Sitzung doziert also ein Engländer aus der Fremdsprachenabteilung. Er sei, stellte er sich vor, vor etwas mehr als zehn Jahren nach Turku gekommen und zunächst der Liebe und schließlich des Landes wegen geblieben.

    Es gebe nichts Gefährlicheres, als auf die Ratschläge dieser meist geschiedenen, akademisch gescheiterten Literaturwissenschaftler oder gar Literaten aus dem Ausland zu hören, hatte meine finnische Frau mich noch am Frühstückstisch gewarnt. Die hiesigen Sprachlabore seien voll von solchen Typen, in der Regel sprächen sie selbst nicht mal Finnisch - oder wenn, dann nur sehr schlecht - und hätten also keinen Schimmer.
    Wir hätten großes Glück, fährt der Vortragende fort, denn hier in Finnland sei man als Fremder noch wirklich fremd. Nirgendwo in Europa gebe es weniger Ausländer, nirgendwo sei die Gesellschaft und Kultur homogener. Zwar habe sich das Land - auch dies ein Rekord! - in weniger als dreißig Jahren von einer dörflich geprägten Agrarnation zum digitalen Weltmarktführer entwickelt, doch seien die Finnen bis heute ein Wald-, ja Eingeborenenvolk, möglicherweise das letzte Europas, zu vergleichen im Grunde nur mit den »Native Americans« der USA.
    Eine These, die unser englischer Freund nun anhand hierzulande üblicher, sprechender Vornamen zu stützen sucht, wie etwa Tyyne (Friede), Tuulikki (Wind), Helmi (Perle) oder männlicherseits dem Otso (Bär), Ilmo (Sturm) oder Urho (Kraft).
    Meine Grundschullehrerin hieß auch Friede, denkt der Wolfram in mir, und meine finnische Liebe wurde auf den Namen Pia-Maria getauft, was nicht eben nach Jägern und Sammlern klingt. Anderseits gibt es da noch ihren Patenonkel Yrjö, und eine weitere Nation, in der erwachsene Männer auf den Namen »Erbrochenes«
hören, dürfte innerhalb der EU tatsächlich schwer zu finden sein.
    Irgendwie wird die These vom letzten Eingeborenenvolk des Kontinents nun mit dem ungewöhnlich weiten Körperabstand verbunden, den Finnen beim Gespräch zu wahren pflegen (dreißig bis vierzig Zentimeter mehr als im europäischen Schnitt), sowie mit der Eigenart, stets nur das Ergebnis eines Gedankengangs, nie aber den Prozess der Thesenfindung selbst sprachlich zum Ausdruck zu bringen. Insbesondere im Gespräch mit einheimischen Männern, so der Dozent, führe dies dazu, auf die Beantwortung sogar gängigster Alltagsfragen relativ lange warten zu müssen - vierzig bis fünfzig Sekunden seien keine Seltenheit. Der Finne sei nun einmal ungemein wahrheitsliebend und ehrlich, meide Vagheiten, verabscheue pures Geplapper, spreche also nur wenig, kurz - schätze die Stille.
    Wieder ungläubiges Schweigen im Saal. Welche Umkehrschlüsse wären daraus für die Wahrheitsliebe meiner amerikanischen oder südländischen Austauschkollegen zu ziehen, frage ich mich, während Gabriele für alle sichtbar den Scheibenwischer macht. Vierzig Sekunden für eine Antwort zu benötigen - dort, wo er zu Hause ist, spricht das nicht etwa für besonders hohe Korrektheitsansprüche, sondern für eine geistige Behinderung.
    Aus all dem, neigt sich das Referat unbeeindruckt dem Ende, könne der Anschein einer gewissen Verschlossenheit entstehen, und es sei in der Tat nicht ganz leicht, mit einem echten Finnen warm zu werden, gar Freundschaft zu schließen. Gelinge es aber, sei ein Freund fürs Leben
gefunden, eine tiefe und unverbrüchliche Beziehung gestiftet, wobei der Sauna - und hier schließt sich der Kreis - in diesem Prozess eine Schlüsselrolle zukomme. Denn von einem Einheimischen zur Sauna eingeladen zu werden, sei ein erstes und ernstes Sympathiezeichen, ein lang bedachtes Vertrauenssignal, der entscheidende Öffnungsschritt, vor allem aber, wie nicht oft genug wiederholt werden könne: keine Einladung zum Sex!

LEBEN, SCHWITZEN, STERBEN
    B ei allen Göttern, wie unendlich gut das tut. Nur noch ein einziges Mal, tief hinein in den Schlund der schwarzen Bestie! Eingekauert folge ich der Maserung der Planken, feucht verdunkelt vom Schweiß der Jahrzehnte und, wie ich vermuten darf, manch anderer Körperflüssigkeit. Schließlich wurden einst die Großmutter des Hauses in dieser Sauna geboren, der Vater
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