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Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen

Titel: Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen
Autoren: Wolfram Eilenberger
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mehr nicht. Erst der Buchdruck und der damit entstandene Buchmarkt habe dann die Gestalt des Autors aus der Taufe gehoben. Zu Marketingzwecken, vornehmlich. Es handle sich bei dem Autor also letztlich um ein kapitalistisches Verfallssymptom. Und heutzutage würden ja tatsächlich nur noch Autoren und nicht mehr Bücher gekauft.
    »Wen kümmert’s, wer spricht?« (What matter who’s speaking?), flüsterte er ein ums andere Mal in sich hinein, als wir am letzten Abend der Tour unsere wundgelaufenen Füße am Lagefeuer wärmten, woran ich im Moment vermutlich nur denken muss, weil man bei Tarmos
Gesprächstempo tatsächlich auf die Idee kommen kann, er müsse vor jeder Antwort erst einmal mental die Leitzentrale auf einem fernen Heimatplaneten anfunken.
    Hoffentlich hat er das hingekriegt, mit Raimos neuer Digitalkamera. Geblitzt hat es jedenfalls, als mir nach einer Pause, die auf deutscher Kirchenseite besorgtes Murmeln auslöste, dann doch noch mein zustimmendes » tahdon « über die Lippen gekommen war. Natürlich wollte ich, und sagte es also, mit brüchiger Stimme und rot geweinten Augen. Die Finlandia war einfach zu viel gewesen. Gleich mit dem ersten Akkord flossen die Tränen wie Schmelzbäche meine Wangen hinab, nässten Tropfen um Tropfen den handgewebten finnischen Hochzeitsteppich, ryijy , auf dessen erdfarbenem Rautenmuster meine Frau und ich während der Zeremonie knieten.
    Mehr auf eine Ahnung hin hatte Mummi ihn vorigen Herbst zu knüpfen begonnen. Neun Monate saß sie daran, jeden Abend im Mökki. Für den Rest unseres Lebens soll der ryijy die Wand hinter dem Ehebett schmücken, als Schutz vor den eisigen Böen des Winterwindes. So ist es von jeher gedacht. Auf den ersten Blick scheint das Textil aber auch für den Einsatz auf der breiten Armatur eines französischen Minivans hervorragend geeignet.
    Pfarrerin Peltonens bilingualer Predigt vermochte ich leider nicht zu folgen. Ich war einfach zu verwirrt. Sie soll aber ganz ausgezeichnet gewesen sein. Vor allem die Leitfrage, ob eine gute Ehe wohl nur in einem guten Staat möglich sei, habe ihr sehr zu denken gegeben,
erklärte mir Tante Vera beim Tiramisu, während Urponen eine Bank weiter die finnische Biotechnologie als »next big thing« anpries und zahlreiche Aktientipps gab, welche Onkel Elmar eifrig auf seiner Mohnblumenserviette notierte.
     
    Ukki überholt einen Traktor, als wollte er mit unserem Fiat den Elchtest bestehen. Muss ja jetzt nicht sein, was ihm meine Gattin auch in aller finnischen Deutlichkeit zu verstehen gibt, genauso wie Mummi, zwei mit Alufolie bedeckte Iittala -Schüsseln auf dem Schoß balancierend. Die Kartoffeln haben gereicht. Gott sei Dank.

FREUNDE
    L iotharin puhe oli kiva myös «, nickt Aulis bei nunmehr stark reduzierter Geschwindigkeit.
    Stimmt. Eigentlich wusste mein Vater sich nach dem dritten Weißwein mit strengstem Auftrittsverbot belegt. Aber in einem unbeobachteten Moment war es ihm dann doch gelungen, sich katzengleich auf die Empore zu schleichen und dem mitten im Soundcheck befindlichen Tangomeister Veikko Lahtinen das Mikro zu entreißen. Wir harrten blass, auf Schlimmstes gefasst. Bedankt hat er sich, wortreich, sehr herzlich und auf Englisch, gut, die kurze Kostprobe seiner frisch erworbenen Finnischkenntnisse hätte nicht sein müssen ( Lihapullaonkaunismaakarhunainen! ), aber zum Abschluss fiel ihm genialisch ein, seinen, wie er sich ausdrückte, »alten Freund Winston Churchill« zu zitieren, denn auch darin habe der gute Mann recht behalten: »Finnland zeigt, wozu freie Menschen fähig sind.«
    Jubel! So wenig höpöhöpö war nie. Aulis hob ihn von der Bühne. Schon waren die Brüder mit gefüllten Pappbechern zur Stelle, unter laut tönenden Na-Sdarowje -Rufen
prostete man einander zu, und mit jedem Schluck bot mein Vater einem neuen Volksgenossen sein Du an: » Minä olen Lothar, tervetuloa !«
    Meine Mutter hat das, glaube ich, gar nicht live miterlebt, sondern sich, sozusagen präventiv, noch vor dem ersten Wort aus dem Saal geschlichen. Zum Hochzeitstango aber war sie wieder zur Stelle und forderte, ganz wie abgesprochen, ihren Sohn bereits nach wenigen Takten aus den Armen der Ehefrau entschieden zum Tanz zurück. In Deutschland ist das nämlich so Tradition.
     
    Ukki biegt auf die 428 nach Pertunmaa. Schnurgerade schneidet die Landstraße durch das satte Grün mittelfinnischer Hügel. Auf den Kuppen in enger Folge der Panoramablick hinab auf die Seenplatte des Suontee, bewaldete
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