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Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen

Titel: Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen
Autoren: Wolfram Eilenberger
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dem Mökki-Grundstück munter pflückenden Neffen davor zu bewahren, sich die reifen Heidelbeeren direkt in den Mund zu schieben. Wie der Finne die Sommerzeit ganz allgemein auf dem Mökki, mökillä , verbringt, keinesfalls aber in dem Mökki, mökissä .
     
    Als Menschen nehmen wir ja allzu gerne an, die Wirklichkeiten von Raum und Zeit seien uns allen in gleicher Weise zugänglich. Das ist natürlich Unsinn. Im Land meiner Frau liegt es an den Fällen. Sie haben es sicher schon gehört, das Finnische zählt stolze fünfzehn davon, das Deutsche hingegen nur vier. Wer sich einst zu Schulzeiten im Lateinunterricht mit dem Ablativ einen Knoten
ins Hirn dachte, dem sei also gesagt: Beim fünften Fall wird der Finne erst langsam warm. Allen anderen aber: Es bleibt schwierig.
    Lassen Sie es mich so versuchen. Das Finnische kennt praktisch keine Präpositionen. Gibt es da einfach nicht. Ich weiß auch nicht, weshalb. Deshalb müssen all die schönen Bestimmungen, die das Deutsche sowie jede andere halbwegs normale Sprache durch Wörter wie »aus«, »bei«, »mit«, »nach«, »seit«, »von«, »zu« und viele andere zum Ausdruck bringt, im Finnischen durch jeweils eigene Fälle getroffen werden. Die Fälle sind durch Endungen markiert, die den jeweiligen Wörtern angefügt werden.
    Beispiel: Mökki heißt Hütte. In der Hütte heißt: mökissä . Auf dem Mökki: möki-llä . Zum Mökki: möki-lle . Vom Mökki kommend: möki-ltä . Aus dem Mökki heraus: mökistä . In das Mökki hinein: mökkiin … und so für jedes andere erdenkliche Ding oder Lebewesen.
     
    Das ist an sich schon recht verwirrend, wird aber erst dadurch richtig kompliziert, dass die Finnen den Raum, ja, wie soll ich es sagen, anders ordnen. Siehe: ins Klo (hinein)gehen, vessaan . Man fährt hierzulande auch auf dem Bus, bussilla , oder auf dem Auto, autolla . Dafür leben Finnen nicht etwa auf, sondern in der Erde, maassa , und tragen ihre Mützen nach eigenem Verständnis im Kopf, päässä , genauso wie die Socken in den Füßen, jalassa . »Zieh dir die Schuhe in deine Füße hinein!«, Kengät jalkaan! , ist ein Satz, mit dem ein finnisches Kind widerspruchsfrei aufzuwachsen hat. Wurde aber beispielsweise
eine liebgewonnene Freundin besucht, kehrt der Finne mit der Aussage nach Hause zurück, er sei auf Maarit, Maaritilla , gewesen.
    Heikel.
    Zu allem Überfluss verändert sich der Wortstamm bisweilen gehörig, je nachdem, welche Fallendung angefügt wird, sodass man als Ausländer schon glücklich sein darf, auf offiziellen Dokumenten den eigenen Namen wiederzuerkennen.

HABEN ODER SEIN
    D as Fünfzehn-Fälle-System bringt selbstverständlich noch weitere, dem mitteleuropäischen Normalverstand schlicht unbegreifliche Eigenheiten mit sich. So gibt es im Finnischen kein Verb für »haben« oder »besitzen«. Eigentum ist nicht etwa nur Diebstahl, wie es linksradikale Kräfte von jeher propagieren, nein, im Land meiner Frau ist das ungrammatischer Nonsens. Das Jahrtausende währende kulturprägende Sehnen nach einem autarken Hüttenkommunismus schlägt da sprachlich voll durch.
     
    Denken Sie es ganz elementar: Ich habe Hunger. Wie sagt der Finne das? »Minulla on nälkä.« »-lla« , richtig, das war die Fallendung, die dem deutschen »Auf« entsprach. Wörtlich übersetzt heißt es damit: Auf mir ist Hunger!
    So denkt ein Finne. Da draußen läuft der Hunger rum, und wenn du Pech hast, setzt er sich auf dich und bleibt haften. Das Gleiche gilt aber auch für Durst, Zweifel, Fragen, Sodbrennen, Keksriegel, Doppelgaragen
und Ehefrauen. Die hat man nicht, die sind auf einem! Manchmal schnappen sie dich, manchmal du sie.
    Ich erkläre es mir so, dass der Mensch nach finnischem Verständnis im Grunde nur das wirklich besitzt, was er am eigenen Leib tragen kann - also auf dem Rücken. Gewiss, für Doppelgaragen oder Überziehungskredite ist der Gedanke weniger plausibel, andererseits waren die Finnen früher mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Nomadenvolk, das seine Hütten also tatsächlich auf dem Rücken trug und jede Verfestigung scheute, sei es im baulichen oder privaten. Eine Frau, die nicht mehr auf einem ist, ist in diesem Sinne eben nicht mehr ganz und gar die eigene. Was aber Hunger, Durst, Fragen, Zweifel und dergleichen angeht, nun, diese Zustände fallen uns ja tatsächlich eher an - lauernden Geistern oder Dämonen gleich.
    Das ist jetzt natürlich keine wissenschaftliche Erklärung, mehr eine private Eselsbrücke, aasinsilta .
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