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Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen

Titel: Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen
Autoren: Wolfram Eilenberger
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auch etwas vollkommen anderes, keine Ahnung. Jedenfalls verteilt er jetzt neonfarbene Leibchen, ordnet Gegenspieler zu und schießt einen abgewetzten orangefarbenen Lederball hoch in den Nachthimmel.
     
    Nominell spiele ich linkes Mittelfeld, vasen keskikenttä . Aber Mittelfeld gibt es in Finnland nicht. Zumindest nicht in der Zweiten Division. Zumindest nicht im Winter. Dort verlaufen die Partien immer nach dem gleichen Muster. Vom eigenen Strafraum aus wird der Ball weit in die andere Hälfte gedroschen, es kommt zu einem Kopfballduell, der Ball landet über groteske Umwege bei der gegnerischen Abwehr, womit der Zeitpunkt gekommen wäre, da sämtliche Mitspieler ganz laut » Rauha! « brüllen.
    Rauha bedeutet auf Finnisch Ruhe, Frieden, worauf man nicht ohne weiteres käme, denn die Reaktion des Abwehrspielers besteht stets darin, den Ball vom eigenen Strafraum ohne Ziel und Plan überhastet in die andere Hälfte zurückzudreschen, wo es zu einem Kopfballduell kommt.

    Gemeinsam mit fünf weiteren Offensivkräften lauere ich also an der Strafraumgrenze und warte auf den nächsten weiten Ball aus unserer Hälfte. Janne steht dicht hinter mir, ich sehe seinen Atem, spüre seinen Ellenbogen. Janne ist unser Kapitän, Seele der Mannschaft und eine finnische Fußballlegende. Denn Janne, Janne war dabei, damals, 1987 im San Siro, als TPS, Turun Palloseura , im UEFA-Pokal gegen Inter Mailand gewann. Auswärts, 0:1, mit Janne als Vorstopper, neunzig Minuten gegen Alto Belli, den Weltmeister.
    Keinen Stich hat Alto Belli gegen Janne gesehen, keinen Stich. Nicht einen. Abgekocht hat Janne ihn, kaltgestellt, ausgemaust. Mit Salzstreuern und Ketchupflaschen haben sie es mir gleich nach dem ersten Training im Vereinsheim Hirvi (Zum Elch) Szene für Szene auseinandergelegt, wie das damals war, mit TPS und Alto Belli im San Siro. Die anderen, nicht Janne. Der saß den ganzen Abend schweigend am anderen Tischende und starrte in sein Leichtbier.
     
    Keine Chance. Ich lande nach jeder Flanke das Gesicht voran im Schnee, spüre meine Füße nicht mehr. Will nach Hause. In die Badewanne. Nach Deutschland.
    »Jump earlier«, flüstert Janne plötzlich von hinten. Es ist das erste Mal, dass ich den Klang seiner Stimme höre. Ich drehe mich um. »Jump a bit earlier, then I must carry you up«, sagt er und zeigt auf seine Brust.
    Er nickt noch einmal ernst, da kommt bereits der nächste Ball, von weit her, in strammem Bogen direkt auf uns zu. Ich springe, und als wären wir von einer Böe
erfasst trägt es uns nach oben, hoch, immer höher, mein Rücken eng an Jannes Brust, wie ein Körper. Da, der Ball, da, am höchsten Punkt, ein leichter Druck auf der Stirn, für einen Moment, nur einen Moment, dann ein warmer Schauer, tief von innen, wo das Glück wohnt. Und der Rauha ruht. In jedem von uns. Ganz egal, wo wir weilen.
     
    »Besser jetzt?«, fragt meine finnische Frau in den Holzhimmel der aitta .
    »Viel besser, Schöne.«

KIELI - DIE SPRACHE

STILLE, AUF MIR
    I ch bin sehr heiß.«
    »Das stimmt, Schöne, aber eigentlich heißt es: Mir ist heiß.«
    »Mir ist heiß.«
    »Mir auch.«
    »Gehst du dann mit in den See?«, fragt meine Frau.
    »Meinst du zum Schwimmen?«
    »Was denn sönst?«
    »Na ja, weißt du, ›in den See gehen‹ bedeutet auf Deutsch etwas anderes.«
    »Was dann?«
    »Eben, in den See gehen«, sage ich und ahme mit Zeige- und Mittelfinger eine Gehbewegung nach. »Also einfach nur gehen, ohne zu schwimmen. Endet meistens tödlich.«
    »Du immer mit deiner Blödigkeiten, weißt doch ganz genau, was ich meine.«
    »Nicht immer.«
    »Kannst du auch Finnisch lernen, wenn dich meine Deutsch nicht passt.«

    »Musst du nicht gleich rufen, Schöne!«
     
    Außerdem ist in den See gehen immer noch besser als in das Klo gehen . Das macht meine Frau auch ständig. Sagt sie jedenfalls. Und wenn ich dann erkläre, dass man in Deutschland, wenn es pressiert, auf das Klo geht, starrt sie mich jedes Mal wieder fassungslos an. Vor ihrem geistigen Finnauge erscheint dann nämlich ein Mensch, der mit beiden Beinen auf einem geschlossenen Klodeckel steht.
    In Finnland gehen die Menschen im Sommer allerdings weder auf noch in das Klo, sondern einfach in den Wald, metsään , zumindest für das kleine Geschäft. So wird der Plumpsklocontainer effektiv vor dem Überlaufen bewahrt. Die strauchreichen Wälder sind weit und bieten reiche Rückzugsmöglichkeiten, die man dennoch ein wenig im Gedächtnis bewahren sollte, etwa um die auf
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