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Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen

Titel: Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen
Autoren: Wolfram Eilenberger
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zieht, weil aus ihrer Sicht alles gesagt ist, was es zu sagen gab.
    Meine finnische Frau wollte nicht fragen. Das ist bei ihr eine Frage des Stolzes. Sie war als Viereinhalbjährige schon einmal auf der Hütte ihres Patenonkels, kennt den Weg also genau und braucht keine Hilfe.
    » Oikealla «, sage ich und fahre behutsam an, um mit
unserem französischen Zweiradantrieb nicht im Schnee stecken zu bleiben.
    »Habe ich doch gesagt«, sagt meine finnische Frau.
     
    Nach zehn Minuten Fahrt durch den Winterwald werde ich ein wenig unruhig, obwohl ich mittlerweile aus Erfahrung weiß, dass finnische Privatwaldwege sich erstaunlich lange hinziehen können. Der Wald ist hier einfach größer. Ich bin mir ziemlich sicher, das Orakel der Bärenmütze richtig verstanden zu haben, dennoch denke ich an den Sprachkurs, der seit mehren Monaten zu Hause in meiner Schreibtischschublade liegt: Me puhumme suomea , ein klassisches Einsteigerpaket, alltägliche Konversationssituationen samt Wortlisten und grammatischem Regelheft. Insgesamt drei Stufen, I-III. Mit diesem perfekt einstudierten Wissen will ich meine Frau eines Tages überraschen.
    Irgendwann. In absehbarer Zukunft.
    Doch bedrängen mich auf Ausflügen wie diesem immer wieder Zweifel, ob das überhaupt gut für uns wäre. Sobald meine Frau das Gefühl hätte, ich verstünde Finnisch, würde sie im Auto nämlich anfangen, anstatt »rechts« nur noch » oikealla « zu sagen und anstatt »Es zieht!« »Vetää!« . Und verließe ich mich zur Interpretation ihrer Äußerungen dann ganz auf mein finnisches Grundkurswissen und handelte entsprechend, nun, es wäre sehr bald um uns geschehen.
    Auf Deutsch fühle ich mich im Auto einfach sicherer. Für die deutschen Äußerungen meiner Frau habe ich irgendwo in meinem Kopf schon vor langer Zeit
ein sprachliches Sonderheft angelegt. Es trägt den Titel Deutsch, wie meine finnische Frau es spricht . In diesem höchst privaten Beziehungssprachgrundkurs stehen Einträge wie:
     
    Rechts : Richtungsangabe, da, wo der Daumen links ist. Aber Vorsicht! In gewissen Situationen, besonders nach längerer Autofahrt, auch in der Bedeutung von »links« verwendet (siehe Eintrag: Links )
     
    Pinscher : Gattungsname, in Zuständen der Verärgerung gleichbedeutend mit Franzosen, insbesondere in ihrer Rolle als Kleinwagenhersteller
     
    Es zieht : Idiomatische Wendung; meist in der Bedeutung von »Mach die Lüftung aus!«, gelegentlich aber auch »Wir sollten über ein neues Auto nachdenken.«
     
    Das klappt so weit ganz gut. Kommt es allerdings hart auf hart, hilft mir auch dieses höchst private Spezialwörterbuch nicht weiter, denn was bei einem Blick aus dem Autofenster zu sehen ist, kann mir kein Buch der Welt sagen - das hängt eben ganz davon ab.
    Der erfolgreiche Umgang mit dem kleinen Unterschied ist also im Kern kein sprachliches Problem. Finnisch hilft da gar nicht, und auch kein Deutsch, und sei es noch so speziell. Ganz einfach, weil mir in den wirklich heiklen Situationen weder Wörterbücher noch grammatische Regeln entscheidend dabei helfen zu verstehen, was meine Frau mir eigentlich sagen will.

    Das erkannte ich damals auf Finnlands engen Waldwegen. Lange genug Zeit zu grübeln hatte ich ja. Viereinhalb Stunden eisigen Schweigens, auf Englisch. So lange dauerte es nämlich, bis uns Ukki mit seinem Fiat aus den Weiten Kotkas bis zur nächstgelegenen Vertragswerkstatt geschleppt hatte.
    Voll in die Schneewand sind wir gerauscht. Direkt rein. Der Weg hörte plötzlich einfach auf. Da kam nichts mehr, weder links noch rechts. Die Werkstatt hat mir sofort einen super Preis für den Unfallwagen geboten, viel mehr, als ich jemals in Deutschland rausbekommen hätte - glaubte ich jedenfalls, bis einige Monate später die finnischen Steuer- und Zollforderungen eintrafen.
    Seitdem haben wir kein Auto mehr, sondern benutzen Ukkis mit.
     
    So etwas wird mir nicht noch einmal passieren, habe ich mir geschworen. Wo sich das Klo genau befindet, werde ich mir also morgen vor Ort noch einmal persönlich ansehen. Das kriege ich in der Rede dann schon hin. »Links« ist ja einfach, das heißt vasemmalla . Nur was »geradeaus« bedeutet, vergesse ich immer wieder. Muss ich nachher noch kurz nachschlagen. Im Mökki steht ja ein Wörterbuch.

DAS ZWEITE GESPRÄCH MIT FRANZ
    E s klopft an der Luke. Diesmal wirklich. Zaghaft, geschwächt.
    »Wanderer, tritt herein!«, rufe ich.
    »Rami, es bin nur ich, verzeih vielmals die frühe Störung, aber
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