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Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen

Titel: Finnen von Sinnen - Finnen von Sinnen
Autoren: Wolfram Eilenberger
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…«
    »Franz! Was machst du denn hier?«
    »Äh, ich wollte die Hose zurückbringen. Eine sehr bedauerliche Verwechslung. Sehr bedauerlich, in der Tat.«
    »Nicht so schlimm. Ist denn alles in Ordnung?«
    »Womit?«
    »Na, mit dir und meiner Hose.«
    »O jaja, ganz und gar unbeschädigt, die Hose, unbefleckt sozusagen«, scherzt Franz und tritt in die aitta . Er riecht wie Janne nach dem Training. »Wo dürfte ich sie denn ablegen?«
    »Am besten an den Nagel neben der Luke, wo deine Hose jetzt hängt.«
    »Stört es dich, wenn ich mich hier kurz umziehe?«
    »Nein, überhaupt nicht. Du, Franz?«

    »Ja.«
    »Darf ich dich mal was fragen?«
    »Selbstverständlich.«
    »Ich habe nämlich, na ja, Zweifel.«
    »Fracksausen?«
    »Gewissermaßen. Weißt du, ich weiß einfach nicht, ob ich überhaupt weiß, worauf ich mich da einlasse, heute, hier …«
    »Mit der Heirat? In Finnland?«
    »Ja. Verstehst du das?«
    »Ein bisschen.«
    »Was meinst du mit ›ein bisschen‹?«
    »Rami, bist du mit dem finnischen Partitiv vertraut?«, fragt Franz und springt auf einem Hosenbein durch die aitta , als betreibe er eine längst ausgestorbene Hüttensportart.
    »Pia hat schon oft versucht, ihn mir zu erklären. Aber weshalb fragst du?«
    »Weil man im Finnischen einen Menschen immer nur teilweise verstehen kann. Minä ymmärrän sinu a . «
    »Aha.«
    »Und genauso ist es mit der Liebe. Man liebt auf Finnisch immer nur einen Teil des anderen, nie den ganzen Menschen.«
    »Ist mir noch nie aufgefallen.«
    »Doch: Minä rakastan sinu a « .
    »Weshalb denn? Ich dachte immer, zu lieben bedeutet gerade, den ganzen Menschen zu lieben, mit Haut und Haaren, mit allem Drum und Dran.«
    »Schwierig«, sagt Franz. »Der ganze Mensch gerät ja
nie in den Blick, sondern nur ein Teil, aus einer Perspektive. So bleibt also stets ein Rest, etwas Unausgeschöpftes, Unbestimmtes. Genau wie bei der Sprache.«
    »Die kann man auch nur teilweise sprechen?«
    »Ja. Minä puhun suome a « , sagt Franz. »Weil die Sprache mit jedem Satz neu wird, und weil sie auch von anderen gesprochen wird, mit anderen. Und von jedem auf eigene Weise. Das ist der Sinn des Ganzen.«
    »Des Partitivs?«
    »Unter anderem«, sagt Franz.
    »Willst du damit sagen, ich wüsste nur zum Teil, wen ich heute heirate, und auch nur zum Teil, was wir einander vor dem Altar versprechen, und alle Finnen in der Kirche seien sich darüber auch vollkommen im Klaren?«
    » Juu. Juu . Aber du solltest das Positive erkennen.«
    »Wie denn?«
    »Es geht immer weiter. Gibt immer noch etwas zu entdecken. Wir sind doch ihmisiä .«
    »Und das hört also nie auf in Finnland? Mit dem Entdecken und dem Partitiv?«
    »Erst im Märchenland.«
    »Satumaassa.«
    »Juu. Juu «, sagt Franz und hängt meine Hochzeitshose an den Nagel. »Kommst du mit in den See? Eine kleine Erfrischung würde uns gewiss guttun.«
    »Gute Idee. Sag mal, wo warst du eigentlich letzte Nacht?«
    » Ainolla .«
    »Auf Aino, verstehe.«

    Wir treten ins Licht. Aino und meine finnische Frau sind schon im Wasser. Noch nie habe ich den See in so strahlendem Blau gesehen.
    Ein perfektes Ebenbild des Himmels.

KOTIIN - NACH HAUSE

WIR, VIER
    H och steht die Sonne, Finnlands Farben am Himmel. Ukki verstaut Salatschüsseln im Kofferraum. Bereits seit dem frühen Morgen müssen sie aufgeräumt haben. Die Bierbänke liegen in Stapeln zum Transport bereit. Der Holzboden ist besenrein. Blanke Leere, wo gestern noch hundert deutsch-finnische Leiber fröhlich miteinander schwiegen, schwatzten, tanzten und tranken. Ich kauere auf einem alten Baumstumpf neben dem Parkplatz der Festscheune zu Paippinen. Blau-weiße Luftballons baumeln träge an Wäscheleinen. Wenigstens habe ich meine Hose nicht verloren.
    » Ramilla on krapula «, hält meine Ehefrau das Offensichtliche fest.
    Kein ordinärer deutscher Kater, leider, sondern ein finnischer Weißwein-Fernet-Kossu- sahti - krapula . Ich bin nicht sicher, ob ich mich erheben kann. Bewegungen schmerzen noch mehr als Gedanken. In exakt diesem Zustand hat Matti Nykänen mehrere Neujahrsspringen gewonnen. Es ist also in erster Linie eine Willensfrage. Vorwärts. Quäl dich, du Sau. Pia stützt mich auf dem
Weg zum Auto. Auf der Rückbank angekommen, erfasst mich eine üble Schluckaufattacke. Mit jedem von Aulis’ sechs Brüdern ein Wodka. Für jeden Wodka ein Bäuerchen. Das letzte kommt von Yrjö.
    »Riechst wie eines finnisches Mann«, lächelt meine Gattin, als ich zurück in den Fiat
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