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Finne dich selbst!

Finne dich selbst!

Titel: Finne dich selbst!
Autoren: Bernd Gieseking
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überstrahlt von einer nicht untergehenden Sonne. Klack. Schemenhafte Waldstücke. Klack. Birken im Wind. Klack. Menschen in Sarongs. Klack. Ich meinte die Klänge eines Gamelanorchesters zu hören. Klack. Farbenprächtige Sonnenuntergänge am Strand von Kuta. Klack. Meeresrauschen. Klack. Ich, unter einem Schirm, fröstelnd, in Finnland an einem trüben Regentag. Klack. Klack. Klack. Ein leerer Diarahmen. Blendendes, gleißendes Licht.
    Ich sah meine Eltern an, schaute zu den Fasanen, dann wieder zu meinen Eltern, und ohne dass ich während meiner inneren Diaschau einen oder mehrere Gedanken bewusst gedacht hätte (jedenfalls kann ich mich an keinen erinnern), sagte ich mit Blick über die Kutenhauser Felder: »Dann fahre ich euch eben.«
    Moment. Was waren das für Worte? Hatte ich die gesprochen?
    »So?«, stutzte Hermann, durchaus beeindruckt und letztlich genauso überrascht wie ich selber.
    Die Fasane pickten und verschwanden. Stunden schienen zu vergehen. Dann sagte meine Mutter Ilse: »Das klappt doch nie. Du hast doch nie Zeit.«
    Schweigen.
    »Ich hab drei Wochen Zeit. Im Juli.«
    »Wolltest du nicht nach Bali?«, fragte meine Mutter.
    »Was ist Bali gegen Finnland?«, sagte ich.
    »Im Leben klappt das nicht!«, murmelte mein Vater.
     
    Ich bin Junggeselle, erfolgreich unverheiratet, nicht ohne Partnerschaften, aber auch nicht fest gebunden. In diesem Sommer war ich lose versprochen. Und lose mit ihr auf eine gemeinsame Reise verabredet. Mit Isabel. Vielleicht sogar nach Bali.
    »Was? Mit deinen Eltern? Zu deinem Bruder?«, rief sie entzückt aus, als ich ihr von meiner neuen Urlaubsplanung erzählte. »Das ist doch supersüß, dass du mit deinen Eltern fährst.«
    Ich bin zu alt, um »süß« zu sein. Niemand in unserer Familie ist süß.
    »Mit meinen Eltern kann es auch ganz schön anstrengend sein. Auf einmal sehe ich die täglich. Tagelang.«
    »Aber es sind doch deine Eltern.«
    »Eben!«
    »Also, meine Eltern und ich …«
    »Ja, ihr! Aber wir sind nun mal Ostwestfalen! Da kann man sich nur nah kommen, wenn alles distanziert genug ist.«
    »Ach, Quatsch! Ihr nehmt euch in die Arme und dann …«
    »Was? Wir nehmen uns nicht in die Arme.«
    »Wie begrüßt ihr euch denn?«
    »Na, ordentlich, mit Handschlag.«
    »Deine Eltern?«
    »Gehört sich ja wohl so.«
    »Bernd, wenn du und ich Kinder hätten, die würdest du mit Handschlag begrüßen?«
    Wenn sie und ich Kinder hätten? Hatte ich was überhört? Ich kannte diese Frau doch kaum! Erst ganz kurz. Noch keine zwei Jahre.
    »Weißt du was? Ich könnte doch mit euch …«
    »Oh. Äh. Nein, das, also, tolle Idee. Natürlich. Aber, ich, äh, ich glaube, eher nicht. Meine Eltern, die würden das nicht …«
    Ich würde nicht drei Wochen gemeinsam mit drei Fremden verbringen. Zwei Fremde reichten entschieden aus. Hoffentlich hörte sie nicht, was ich dachte.
    »Schreibst du mir von unterwegs?«, fragte Isabel.
    »’ne Karte? Na klar schreib ich dir ’ne Karte.«
    »Nee, Bernd. Schon etwas ausführlicher. Mails. Eine Art Reisebericht. Ich hätte dann wenigstens das Gefühl, mit dir unterwegs zu sein.«
    Ich starrte sie an. Ihre Augen schimmerten feucht.
    »Ich soll nicht mit. Und du willst mir nicht einmal schreiben. Dein Bruder ist wegen dieser Frau sogar nach Finnland gezogen, und du schreibst nicht mal ’ne Mail. Du bist ja echt ein ganz toller Mann. Nicht mal eine SMS !«
    »Ich bin doch überhaupt noch nicht weg.«
    »Von mir aus bleib doch ganz in Finnland!«
    »Isabel!«
     
    Es ist an einem Samstag im Juli. Ich frühstücke im Hotel Holiday Inn in Minden. Last supper. Das letzte Abendmahl zum Frühstück. Drei Wochen mit meinen Eltern nach Finnland. Ich bin mehr als besorgt. Wie habe ich nur zusagen können? Mir geht das alles noch einmal durch den Kopf. Klar. Finnland. Ich freue mich auf Finnland. Auf das Land. Die Leute. Meinen Bruder. Viivi. Ihre Familie. Aber Urlaub mit meinen Eltern? Drei Reisetage im Auto liegen vor uns. Auf der Fähre Kopenhagen–Turku werden wir sogar die Kabine teilen. Ich rechne nach und komme auf über 30  Jahre, die ich quasi »elternfrei« verbracht habe, drei Jahrzehnte, in denen ich meine Eltern nicht länger als ein paar Stunden am Stück erlebt habe.
    Ich frühstücke und blättere gedankenverloren im »Mindener Tageblatt«. Ich lese von Schützenvereinen und Sportergebnissen, vom Handballverein Grün-Weiß Dankersen/Minden, vom A-Jugend-Turnier des SVKT   07 , ich lese von spektakulären Spielerwechseln
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