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Finne dich selbst!

Finne dich selbst!

Titel: Finne dich selbst!
Autoren: Bernd Gieseking
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vertreten«, meint Ilse.
    Wir schlüren – ostwestfälisch für schlendern – runter Richtung Wasser. Es ist jetzt ziemlich dämmerig, fast dunkel, manches nur noch schemenhaft zu erkennen, aber ich bin ein alter Trapper, durch Karl May geschult, bin bei Edgar Rice Burroughs in die Lehre gegangen, habe bei Jack London studiert und bei Henry Rider Haggard meine Meisterprüfung gemacht.
    »Sühst du datt? Den Schatten da hinten, Mama?«
    »Ich sehe nur dunkel«, sagt sie.
    Ich verfalle langsam immer mehr in diesen Wechsel zwischen Platt- und Hochdeutsch, den auch meine Eltern oft praktizieren. »Ilse, kiek doch eis genau.« Ich zeige ihr die Stelle am anderen, mit dichtem Wald bestandenen Ufer: »Da steht was im Wasser. Und bewegt sich ab und zu. Ziemlich riesig. Na?«
    »Ich seh nichts!«, sagt sie energisch
    »Ich aber.«
    »Du häst di oll gümmer watt inne bilget.« Du hast dir schon immer was eingebildet. »Rege Phantasie«, setzt sie noch nach. »Van wähne du datt woll hässt. Van mi jedenfalls nich!«
    »Ein Elch, Ilse. Da drüben steht ein Elch.«
    »Im Leben nicht!«
    Wir wandern Richtung Herberge zurück. »Geht ja ganz gut mit Hermann«, sagt Ilse und macht damit ihren Sorgen etwas Luft.
    Ich nicke.
    »Geht hoffentlich auch weiter alles gut mit ihm unterwegs«, sagt sie weiter, »manchmal hab ich ja Bedenken, ob wir ihn nur noch waagerecht wieder mit nach Hause kriegen.«
    Hermann hatte in den letzten 30  Jahren drei Infarkte gehabt, zwei Herzoperationen überstanden und fünf Bypässe bekommen. Da ist das Sterben jederzeit möglich. Ich versuche, sie zu trösten. Das muss man bei Ostwestfalen allerdings sehr rustikal machen: »Ich hab ja ’n Kombi. Wenn es ihn wirklich umhaut, klappen wir einfach hinten die Bank um, legen ihn rein und fahren ihn nach Hause.«
    Zurück in unserem Zimmer mit den Etagenbetten, geht Ilse in den Waschraum, die Zähne putzen. Plötzlich steht Hermann neben mir. Wir schweigen. Irgendwas scheint ihn zu bedrücken.
    »Und?«, frage ich. »So nachdenklich?«
    Er räuspert sich. »Och.«
    Lange Pause.
    »Sag ruhig.«
    Lange Pause.
    »Nicht so wichtig.«
    Noch längere Pause.
    »Wenn es nicht so wichtig ist, kannst du es ja ruhig sagen.«
    Irgendwann dann: »Diese Reise. Ich weiß ja auch nicht, ob ich womöglich nur in einer Kiste wieder nach Hause zurückkomme.«
    »Wird schon schiefgehen«, sage ich. Ein größerer Trost ist unter Männern bei uns nicht denkbar.
    Lange Pause.
    »Jau«, sagt er noch mal.
    Ich schweige. Beide Eltern machen sich die gleichen Sorgen, würden aber nie miteinander darüber reden. Dass sie mir das sagen mochten, erstaunt mich. Ich fühle mich plötzlich beinah aufgenommen in den Ältestenrat der Familie. »Geht doch ganz gut bis jetzt«, sage ich dann.
    Pause.
    »Jau!« Und dann leise und grinsend: »Aber du hast ja ’n Kombi. Wenn’s wirklich schiefgeht, klappt ihr für mich einfach hinten die Bank um.«

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    Das Wichtigste für den Ostwestfalen ist und bleibt die Verpflegung. Nach ihrer ersten Nacht in einer »Jugendherberge« ist die Generation  70 plus am nächsten Morgen hungrig. »Und was ist jetzt mit Frühstück?« Das ist der erste Satz, den ich an diesem sonnigen Sonntag von Hermann höre.
    »Wir kaufen ein und suchen uns einen schönen Platz am Fluss.«
    Wir finden neben einer kleinen Brücke eine Bank unter jungen Birken. Eine Entenfamilie schwimmt vorbei. Schwedische Vollidylle. Kauend sagt Ilse: »Im Leben war das kein Elch!«
    Diese Familie ist nicht nachtragend, aber sie vergisst nichts. Mein Handy blinkt. Eine SMS von Isabel: »Hast du schon was erlebt?«
    »Ja. Elch gesichtet!«, schreibe ich zurück.
    Keine 10  Sekunden später kommt die Antwort: »Nie im Leben! Das erfindest du!«
    Vielleicht sollten Ilse und Isabel sich einfach mal kennenlernen. Ich habe das Gefühl, sie würden sich verstehen.
     
    Wir fahren durch Schweden, am Vätternsee entlang, und plaudern. Die schwedische Landschaft zieht vorüber, Birken, Tannen, Fichten. Lichtungen, Wiesen, Felder. Das Korn halmt sich der Sonne entgegen. An einem See nahe bei der Autobahn machen wir eine lange Mittagspause, und Ilse und ich lassen von einem kleinen Steg die Beine ins Wasser baumeln. Ilse beklagt, dass ihr Mann kaum je zu bewegen ist, ins Wasser zu steigen. In den Nordseeurlauben sei er höchstens mal bis zum Bauch reingegangen. »Ein Wunder, dass der sich wäscht!« Hermann macht Reisenotizen und hört grinsend zu. Dann schlafe ich ein, im
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