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Finish - Roman

Finish - Roman

Titel: Finish - Roman
Autoren: Aufbau
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bohrte seinen Blick in Tullochs Trikot, versuchte mit aller Kraft, die drohende Nähe zu seinem Gegner und damit die winzigste Hoffnung auf einen Sieg aufrechtzuerhalten und Tullochs Vorsprung nicht ins Unüberwindliche anwachsen zu lassen. Trotz seiner Erschöpfung sagte ihm irgendetwas, dass er noch nie so gut gelaufen war, noch nie so viel aus sich herausgeholt hatte. Doch Tulloch war immernoch dort, acht Meter vor ihm, und sein Vorsprung schien mit jedem Schritt größer zu werden.
    Auch bei Alec Tulloch machte sich das Tempo bemerkbar. Es war weniger das Laufen als das Reiten und die Bergstrecken, die ihren Tribut forderten. Seltsam: Sein Atem ging noch immer kräftig und gleichmäßig, doch er spürte, wie er zusammensank, wie seine Beine sich langsam beugten, als trüge er eine schwere Last. Noch nie war Tulloch an diesen Punkt gekommen, und er bemühte sich verzweifelt, wieder zu seiner Form zurückzufinden.
    Acht Meter hinter ihm und weniger als 200 Meter vor dem Ziel blieb Moriarty eisern dran, doch inzwischen hielten ihn nur noch die Reflexe aus 25 Jahren Lauferfahrung auf den Beinen. Plattfüßig und mit gebeugten Knien zuckelte er dahin und sah aus wie seine eigene Parodie.
    Im nächsten Moment war Tulloch weg. 120 Meter vor dem Ziel und mit zehn Metern Vorsprung stürzte er, sein rechter Fuß suchte nach einem Halt, der nicht mehr da war, und er fiel kopfüber in den braunen Staub. Mit ausgestreckten Armen und Beinen lag er da, sein Zwerchfell stemmte sich pumpend gegen den Boden, um die Atmung zu halten. Tulloch war mehr als erschöpft: Er war in eine Welt eingedrungen, in der Erschöpfung nur eine winzige Vorstufe zu einem großen, dunklen, endlosen Schmerz bedeutete.
    Moriarty hatte den Sturz nicht mitbekommen. Tulloch, den er nur noch als weißes Flimmern wahrgenommen hatte, war einfach aus seinem Blickfeld verschwunden. Dann war er selbst am Boden, der braune Sand der Main Street mischte sich mit dem Blut seiner aufgesprungenen Lippen. Er war über Tulloch gestürzt, und nun lagen die beiden Männer nebeneinander im Staub.
    Sofort war William Bunn bei Tulloch. Ohne seinen Mann anzurühren, schrie und flehte er ihn an. Langsam wälzte sich Tulloch auf den Rücken und stemmte sich wie in Trance zuerst auf das eine Knie, dann auf das andere, undstarrte mit leeren Augen und schweißüberströmtem, staubbedecktem Gesicht Richtung Ziel.
    Buck und Billy Joe sprangen aus ihren Sätteln und rannten zu Moriarty. Buck beugte sich hinunter und zischte ihm etwas ins Ohr. Moriarty reagierte nicht, sein Atem stob kleine Wolken Straßenstaub auf.
    »Wer nicht aufgibt, wird niemals besiegt«, sagte Buck. Moriarty schielte zu ihm hinauf. Eine Träne rann ihm über die Wange.
    Billy Joe beugte sich nicht hinab. Auch ihm rannen die Tränen übers Gesicht. Auch er konnte sehen, in welcher Verfassung Moriarty war – die Arme und Beine von Yuccas und Kakteen aufgeschürft und blutig, und aus allen Poren strömte der Schweiß. Vielleicht zum allerersten Mal war Moriarty kein Läufer, kein Sportler mehr.
    Wie Billy Joe dastand, bemerkte er die Stille nicht, die sich über die Main Street gelegt hatte, er spürte nicht, dass die Zeit für ihn, Buck und Moriarty plötzlich stehengeblieben zu sein schien, wie in einer verblassten Daguerreotypie.
    »Wer nicht aufgibt, wird niemals besiegt!«, brüllte er und zeigte die Straße hinauf.
    Moriarty hob den Kopf, sein Gesicht eine Maske aus Staub. Langsam hievte er sich auf die Knie. Er sah Tulloch an, der auf allen vieren war und für Bunns Gebrabbel taub zu sein schien.
    Taumelnd rappelte sich Moriarty hoch, tat ein paar Schritte und fiel auf alle viere. Er schüttelte den Kopf, als wollte er alle vernichtenden Gedanken verscheuchen, kämpfte sich abermals hoch und redete mit sich selbst.
    »Niemals besiegt«, murmelte er und torkelte in einer lächerlichen Parodie von Laufbewegungen auf das Zielband zu.
    Er blickte zum knapp 100 Meter entfernten Ziel. Plötzlich war alles klar, das Zielband leuchtete breit und weiß, alles war wie immer. Aus den Tiefen seines Läufergedächtnisses stieg das Echo fünfundzwanzigjähriger Wettkampferfahrungempor, und Moriarty begann, unermüdlich mit sich selbst redend zu sprinten. Sein Sprint war weit von dem eines Schnellen Mannes entfernt, doch das, was er zeigte, war die Leistung eines Läufers, eines Spitzenläufers, eines Meisters seines Fachs.
    Moriarty zwang sich durch den Schmerz, er ignorierte ihn, als müsste jemand anders ihn
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