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Final Cut - Etzold, V: Final Cut

Final Cut - Etzold, V: Final Cut

Titel: Final Cut - Etzold, V: Final Cut
Autoren: Veit Etzold
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muss.«
    »Wie heißen Sie?«
    »Clara.«
    »Ich sehe, Clara, dass Ihr Schmerz groß ist und Hass Ihre Seele erstickt.« Der Priester schlug das Kreuzzeichen. »Doch Gott der Vater hat in seiner unendlichen Gnade Jesus Christus geschickt zur Vergebung der Sünden.« Er blickte Clara an. Trotz des engmaschigen Holzgitters, das sie trennte, sah sie Mitgefühl in seinen Augen, als er die Lossprechungsformel vortrug. »Im Dienste der Kirche spreche ich dich los von deinen Sünden im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.« Wieder schlug er das Kreuzzeichen. »Sprich vor der Mutter Gottes ein Ave Maria und versuche, die Bitterkeit aus deinem Herzen zu verbannen. Die Gottesmutter wird für dich beten.« Er schaute sie an. »Und ich werde es auch tun.«
    Clara erhob sich. »Lohnt sich diese Mühe bei mir denn überhaupt?«
    »Keiner ist verloren«, sagte der Priester. »Ich kann eine gequälte Seele nicht sich selbst überlassen. Ich werde dich in meine Gebete mit einschließen. Und Christus wird dir verzeihen.«
    »Gut«, sagte Clara. »Doch wenn ich dem Täter begegnen sollte, werde ich ihm mit Sicherheit nicht verzeihen.« Sie erhob sich, während der Priester sie aufmerksam anschaute.
    »Ich werde ihn töten.«
    Clara Vidalis, Hauptkommissarin beim Morddezernat des LKA Berlin und Expertin für Forensik und Pathopsychologie, erhob sich und verließ den Beichtstuhl mit schnellen Schritten, bevor die Tränen ihr die Stimme nahmen.

2.
    Das Internet ist ein allgegenwärtiges, weltumspannendes Netzwerk, das die Kommunikation von jedem mit allen ermöglicht, den beinahe gedankenschnellen Austausch von Informationen, der die Welt gleichsam auf die Größe eines Computerchips schrumpfen lässt. Die Menschen reden nicht mehr miteinander, sondern mit Webseiten, sie treffen sich nicht mehr, sondern tauschen sich über soziale Netzwerke aus. Sie setzen sich Reizen aus, die auf die gleichen Nervenbahnen im Hirn einwirken wie Nikotin und Kokain. Elektronische Drogen. 60 Milliarden E-Mails werden täglich weltweit verschickt, eine digitale Kakophonie der Kommunikation, die die Lebenswelt der Menschen immer mehr aus der Wirklichkeit in eine künstliche Welt aus Bits und Bytes verlagert.
    Frühere Endgeräte musste man mittels klobiger Knöpfe bedienen, während die heutigen iPhones und iPads gestreichelt und liebkost werden wollen wie eifersüchtige Geliebte, die niemanden neben sich dulden.
    Und so, wie jeder Himmel seine Hölle hat, schafft das Internet sich seine eigene Schattenwelt und seine eigene Negierung der vernetzten und scheinbar aufgeklärten Gesellschaft.
    Denn das Internet ist nicht nur das größte Kommunikationsmedium und der umfassendste Wissensspeicher aller Zeiten. Das Internet ist zugleich der größte Tatort der Welt. Von Kinderpornos bis zu Horrorclips – echt oder gestellt –, von Anleitungen zum Suizid bis zu Bauanleitungen für Bomben, von Happy-Slapping-Videos zu Aufnahmen tödlicher Unfälle und Katastrophen bis hin zu Bildern betrunkener Jugendlicher, die in einer Ecke liegen, nackt inmitten der eigenen Exkremente und für alle Welt sichtbar, ist das Internet ein moderner Pranger voller Obszönitäten und Abartigkeiten, eine Schattenwelt, in der sich die dunkelsten Begierden, die perversesten Abgründe und die grausamsten Phantasien manifestieren.
    Die Website giftgiver.de war eine dieser Seiten. In homosexuellen SM-Kreisen ist ein »Giftgiver« ein Mann, der bei ungeschütztem Analverkehr das HIV-Virus überträgt. Die Krankheit in sich zu tragen, sie weiterzugeben und andere zu infizieren – eigentlich ein Akt des Verbrechens – wird bei den Giftgivers als Tugend betrachtet. Ein Schneeballsystem der Perversion, in dem man nur weitergibt, aber niemals erlöst wird.
    Jakob war einer der User, die fast täglich auf giftgiver.de ihre bizarren Phantasien auslebten, Kontakte knüpften und sich für Sexorgien und schäbige Parkplatz-Treffs verabredeten. Jakob war längst »gestochen« worden, wie die Entjungferung von Männern in der Szene genannt wird. Irgendwann hatte er sich bei ungeschütztem Analverkehr auf einer dunklen Kellerparty das HIV-Virus eingefangen. Seitdem war er selbst ein Giftgiver, der nicht nur das Virus in sich trug, sondern selbst ein tödlicher Erreger war.
    Jakob war außerdem ein »Sub« oder »Bottom« – einer, der sich benutzen, quälen, erniedrigen ließ. Er spielte die »Frau«, bei Gangbangs, befriedigte andere mit dem Mund und ließ sich schlagen, fesseln
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