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Filzengraben

Filzengraben

Titel: Filzengraben
Autoren: Petra Reategui
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er ziellos durch die Straßen wanderte, dachte er über Cettinis Worte nach. Hatte der Skribent Beweise, oder war die Bemerkung nichts als haltloses Geschwätz, mit dem er sich wichtig machen wollte? Sollte er Cettini aufsuchen, um ihm auf den Zahn zu fühlen, oder würde er damit dessen Behauptung mehr Bedeutung beimessen, als sie es tatsächlich verdiente?
    In den ersten Jahren hatten die Fratelli Farina ums wirtschaftliche Überleben kämpfen müssen. Aber wer musste das nicht? Sie hatten sich Geld geborgt, keine kleinen Summen, wie man hörte, und der Aufschwung, den sie sich von dem neuen Standort auf Obenmarspforten gegenüber dem Jülichplatz versprochen hatten, ließ auf sich warten. Als ob das noch nicht genug wäre, gab es Krach mit einem Verwandten in Maastricht, Borgnis stieg aus dem Geschäft aus – »… oder wurde gegangen«, wie Dalmonte vermutete –, und vor fünf Jahren starb, viel zu früh, der arme Johann Baptist. Seitdem stand Johann Maria Farina allein mit dem Laden da, und die Gläubiger pochten auf die Einhaltung der Zahlungsverpflichtungen. Die Fünfzig hatte Farina inzwischen längst überschritten. Wenn er es im Leben noch zu etwas bringen wollte, musste er sich beeilen. Der Tod war der unbarmherzigste aller Gläubiger.
    Ohne dass er auf den Weg geachtet hatte, war der Spediteur zum Alter Markt gekommen. Er bog in die Bechergasse und blieb vor Engels Apotheke stehen. Durch die Scheiben sah er auf der Theke Mörser, Flaschen und Waagen stehen. Auf dem Boden lagerten Säcke, deren Inhalt er von hier nicht erkennen konnte. In den offenen Wandschränken reihte sich Gefäß an Gefäß.
    Wann hatte Farina begonnen, Heilwasser herzustellen?
    War es noch vor oder erst nach 1727 gewesen, als Doktor Seutter von der Kölner Universität dem Aqua mirabilis seines Freundes Feminis ganz auserlesene Qualitäten attestierte? Bei böser Luft und Pest solle man es anwenden, bei Herzklopfen, Kopf- und Zahnschmerzen. Selbst gegen Skorbut, Leberverstopfung oder Unpässlichkeiten des Darms helfe es. Wer es sich leisten konnte, kaufte sich das Wunderwasser. Feminis ließ das Haus in Unter golden Wagen neu verputzen und spendete reichlich Almosen für die Armen im heimatlichen Crana. Auch Kölner Klöster und Kirchen wurden wohlwollend bedacht.
    In den ersten Jahren hatte Dalmonte noch die Lieferaufträge der Farinas getätigt; unter Landsleuten arbeitete man zusammen. Er erinnerte sich an die Pomeranzenlieferungen, an die Kisten mit Ölen und Essenzen, wie man sie für die Herstellung eines Aqua mirabilis brauchte. Aber dann stiegen sie selbst ins Speditions- und Kommissionsgeschäft ein und beendeten die Zusammenarbeit mit ihm. Kunden waren ihm abgesprungen, zu den Farinas übergelaufen. Und Johann Maria Farina baute diesen Geschäftszweig stetig aus. Neue Besen kehren besser. Glaubt man. Es hatte ihn gewurmt, sehr sogar, und die Beziehung zwischen ihnen war abgekühlt. Nur nach dem Kirchgang verabsäumte man es nie, ein paar Worte miteinander zu wechseln. Das gebot die Höflichkeit – und die gemeinsame Herkunft. Aber jedes Mal hatte Dalmonte das Gefühl, in Farinas Augen blitze Triumph auf. Dalmonte gab es ungern zu, aber er war neidisch. Dem Jüngeren schien inzwischen alles so leicht zu gelingen, wofür er Jahre gebraucht hatte. Und der Mann schnitt ihn, wahrscheinlich wegen seiner Freundschaft zu Feminis.
    Dalmonte schritt schneller aus. Es waren bittere, sündige Gedanken, die er da hegte. Sie gehörten sich nicht. Reg dich nicht auf, du hast es doch nicht nötig, würde sein Freund Paul Merckenich sagen, und natürlich hätte er recht. Seit fast vier Jahrzehnten behauptete er sich als einer der besten Speditions- und Kommissionshändler von Köln. Im Grunde wusste er, dass er geschätzt war. Aber da war er schon wieder, dieser Stich in der Brust, dieser winzige Neid gegen seinen Landsmann. Er ist ein Parvenü, hatte er einmal zu seiner Frau gesagt.
    Irgendwann hatte ihm Feminis von Farinas ersten Versuchen mit Aqua mirabilis erzählt. Die neue Konkurrenz bekümmerte seinen Freund nicht. Oder er ließ es sich nicht anmerken. Schließlich war auch das Rezept alles andere als ein Geheimnis, wusste doch im Vigezzo jedes Kind, was darin war. Orangen, Zitronen, Limetten, Bergamotte, Rosmarin, Neroli. Seit Jahrhunderten wurden so oder so ähnlich
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