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Filzengraben

Filzengraben

Titel: Filzengraben
Autoren: Petra Reategui
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gehalten haben. Das ausgediente Gestänge erspähte er, als am frühen Morgen fahles Licht durch die dünnen Ritzen in der Tür fiel. Mit dem morgendlichen Angelusläuten kam der Mann mit dem Messer und brachte ihm etwas zu essen. Kein üppiges Mahl, aber wenigstens hatten sie nicht die Absicht, ihn verhungern zu lassen. Der Faìsc war geiziger gewesen.
    Nur einmal am Tag gibt es etwas zu essen. Eine dünne Suppe, einen Kanten Brot, vielleicht ein trockenes Stück Käse. Damit sie nicht zu schnell groß werden. Manchmal bekommen sie in den Häusern, in denen sie die Kamine fegen, eine Wurst, einen Apfel oder etwas Milch. Je kleiner und schmaler die Buben sind, desto größer das Mitleid der Herrschaften. Der Faìsc rechnet damit.
    Einmal darf Giacomo baden.
    Es ist eine Villa, zu der er geschickt worden ist. Die Eingangshalle ist groß wie eine Kirche. Er steigt den Küchenschornstein innen hoch, wie er es gelernt hat. Knie und Rücken gegen das pechschwarze Mauerwerk gedrückt, stemmt er sich mit Schultern, Armen und Füßen Stück für Stück nach oben. Die Holzpantinen hat er ausgezogen, sie warten unten auf ihn. Auf dem Kopf trägt er die Fegerhaube, um den Hals ein Tuch, das er mit einer schnellen Handbewegung über Mund und Nase ziehen kann. Kaum, dass er etwas sieht in dem engen Schlund. Er hat Angst, aber es nützt nichts. Als der Rauchfang einen Knick macht, wird es heller. Durch die Schornsteinmündung dringt Licht ein. Während er so nach oben steigt, fegt er die Wände mit dem Reisigbesen über sich im Dreierschlag, kratzt mit dem gebogenen Eisen den Ruß ab. In kleinen Brocken rieselt die schwarze Masse in die Tiefe. Es dauert eine Ewigkeit, bis er oben angelangt ist und den Kopf zum Schornstein hinausstrecken kann. Er atmet auf, reißt die Haube vom Kopf, schwenkt sie in den Himmel und schreit:
    Â»Spazzacamino, spazzacaminooooooo!«
    Jetzt wissen sie es unten: Er hat die Arbeit beendet.
    Langsam steigt er an der Schornsteininnenwand wieder hinunter und kehrt den Ruß zusammen, den der Faìsc als Dünger verkaufen wird. Von dem Geld werden die Jungen nie etwas zu sehen bekommen.
    Giacomo reibt sich den Ruß aus dem Gesicht, der trotz Haube und Mundtuch in Augen, Mund, Nase und Ohren klebt. Mitten in der Küche steht ein großer Waschzuber, in dem warmes Wasser dampft. Ein kleines Kind, jünger als er, sitzt darin und klatscht mit seinen Händen auf das Wasser, das nach allen Seiten hin spritzt. Das Kind ist vielleicht so alt, wie sein Bruder wäre, wenn er noch lebte. Giacomo merkt nicht, dass er friert.
    Die Köchin fackelt nicht lange. Sie packt ihn, zieht ihm die Kleider vom Leib, holt das Kind aus dem Zuber und setzt ihn hinein. Das Wasser geht ihm bis zum Bauchnabel. Er taucht den Kopf unter, schluckt und blubbert, kommt prustend wieder hoch, holt Luft, reibt sich die Tropfen aus den Augen. Auf dem Wasser tanzen winzige schwarze Punkte. Er schnuppert. In die Seifenlauge mischt sich der schwache Duft von Melisse, wie er ihn von der Nonna her kennt.
    Die Köchin hat versucht, Koller und Hose auszuklopfen. Vergeblich. Der Ruß klebt fest an den Kleidern. Als er geht, schenkt sie ihm noch eine dicke Wurst und winkt ihm hinterher. An diesem Tag steigt er keine Kamine mehr hinauf, sondern strolcht durch die Stadt und lässt auf einem kleinen Bach Schiffchen aus Ästen fahren. Als er am Abend dem Faìsc kein Geld abliefern kann, hagelt es Schläge, aber es ist ihm egal.
    Es musste schon später Nachmittag sein, als die Männer wiederkamen. Der mit den schwarzen Augen, der Römer, stellte eine Kanne Wein auf den wackeligen Tisch, der andere postierte sich hinter ihm und säuberte sich die Fingernägel mit seinem Messer.
    Â»Dann wollen wir also mal über den Preis deines Schäferstündchens reden«, sagte er von oben herab und stieß ihm ein Knie ins Kreuz. Giacomo linste nach dem Krug. Er hatte nicht die Absicht, sich zu widersetzen.
    Als der Faìsc sie damals nicht nur zum Schornsteinfegen losschickte, hatte er sich am Anfang noch gewehrt und ihm den Kopf in den Bauch gerammt. Aber der Patron hatte den Neunjährigen an den Ohren gepackt, sie einmal fest vor und zurück gedreht und ihm drei Tage lang nichts zu essen gegeben. Damals wollte er zum ersten Mal davonlaufen. Doch es war tiefster Winter, und sie waren weit weg von zu Hause in einem Land, wo er die Sprache der Leute
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