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Fiasko

Fiasko

Titel: Fiasko
Autoren: Stanislaw Lem
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radioaktiven Durchschlupf von einem Meter lichter Weite durchsucht, statt es erst einmal durch ein solides Gerüst zu sichern und sich dann die Frachträume mittschiffs vorzunehmen. Hatten die hier nach hundert Kriegsjahren weder Pioniertruppen mit entsprechendem Gerät noch ordentliche Militäringenieure?
       Immer noch über die Gebräuche der hiesigen Truppen staunend, hatte Tempe, nun schon im Innern des Raumschiffs, den Container hinter sich hergezerrt, nun aber hielt er den Strahlungsmesser ins Dunkel. Der Einwegreaktor war, wie die Projektanten es geplant hatten, nach dem Treffer geschmolzen, durch sinnreich angeordnete Boden-ventile ausgelaufen und in den geborstenen Platten des Kosmodroms versickert. Damit war ein radioaktiver Fleck von einiger Größe entstanden. Tempe fand es schön, wie Polassar und Nakamura das konzipiert hatten, und leuchtete das Innere mit seiner Handlampe aus. Grabesstille umgab ihn. Vom Maschinenraum war nicht einmal Schrott übrig, die Konstruktion hatte genau die Festigkeit gehabt, die zweitausend Tonnen der hohlen Attrappe tragen zu können, sich beim Anhauchen aber in Flocken aufzulösen. Der Geigerzähler sprach an und versicherte dem Piloten, daß er in einer Stunde nicht mehr als einhundert Röntgen schlucken würde. Tempe entnahm dem Container zwei flache Metallschachteln und schüttete sie aus, bis es um ihn her von Syntiven wimmelte — synthetischen Insekten mit Mikrosensoren. Er kniete vorsichtig zwischen ihnen nieder, als wolle er dem zerschellten Raumschiff die letzte Ehre erweisen, und schaltete das Aktivierungssystem auf dem Boden der größeren Schachtel ein. In das über die verbogenen Bleche verstreute Gekörn kam Leben, es wurde zum Gewimmel. Hektisch und regellos, wie wirkliche Käfer, die vom Rücken auf die Beine zu kommen suchen, strampelten die Syntiven herum und eilten auf dünnen Drähtchen nach allen Seiten. Er wartete geduldig, bis sich alle verlaufen hatten. Als sich vor seinen Knien nur noch einige wenige, offenbar defekte Exemplare hilflos wanden, stand er auf und kroch, den nun beinahe leeren Container hinter sich herziehend, ans Tageslicht. Auf halbem Wege zur ERDE nahm er noch einen ziemlich großen Ring heraus, zog das dazugehörige Stativ aus, richtete das Ganze auf das Heck der Attrappe und kehrte zu seiner Rakete zurück.
     
       Seit der Landung waren neunundfünfzig Minuten vergangen. In der folgenden halben Stunde fotografierte er die Umgebung, insbesondere das bis in den Himmel reichende Spinnennetz, er wechselte dabei mehrfach Filter und Objektiv und kletterte schließlich wieder in die Rakete. In dem düsteren Steuerraum glomm bereits der Auskultationsmoni-tor. Die Syntiven meldeten sich per Infrarot über das Relais, das Tempe um der besseren Kohärenz willen auf der Hälfte der Distanz aufgestellt hatte. Gemeinsam mit dem Computer und dessen Programm bildeten jene Insekten ein Elektronenmikroskop, das insofern spezifisch war, als es sich räumlich in mehrere Komplexe unterteilte. Zehntausend Käferchen durchstöberten sämtliche Winkel des Wracks, untersuchten Ruß, Reste, Abfall, Staub, Späne, Splitter und jeden Spritzer geschmolzenen Metalls, um ausfindig zu machen, was vorher nicht dort gewesen war. Die elektronischen Rüsselchen gaben ihre „Ordophilie“ kund — den Trieb zu molekularer Ordnung, das Merkmal aller Mikroorganismen, seien sie lebendig oder tot. Diese Käfer, zu dumm, eine Diagnose zu stellen, waren lediglich die Objektive des in der Rakete befindlichen Mikroskops und Analysators, der bereits die ersten Kristallmosaike der Funde aufzeichnete und die Diagnose stellte. Die biotechnische Tüchtigkeit der hiesigen Ingenieure des Todes verdiente Hochachtung. Durch die Käfer ließen sich in harmlos aussehendem Müll Viren mit Langzeitwirkung identifizieren. Zu Millionen steckten sie, jeder für sich, in einer Maske von Schmutz. Der Computer hatte noch nicht ihre Latenzzeit bestimmen können, es waren Sporen, die in den molekularen Windeln lagen, um nach Wochen oder Monaten auszukriechen. Tempe zog aus dieser Entdeckung eine wichtige Schlußfolgerung: Er sollte heil von dem Planeten entkommen, um eine Seuche ins Raumschiff einzuschleppen. Dieser Gedankengang, dem von der Logik her nichts vorzuwerfen war, ermutigte zu kühnen Schritten — er mußte ja zurückkehren, sonst würde er nicht zum Boten des Unheils. Plötzlich zuckte dennoch ein Zweifel auf: Die Viren könnten echt und betrügerisch zugleich sein. Wenn er
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