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Fiasko

Fiasko

Titel: Fiasko
Autoren: Stanislaw Lem
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pickeligen Ausschlags übersäte Eidechsenhaut. Ehe ihre sonderbare Häßlichkeit ihm noch den Unterschied zwischen der Projektierung technischer Anlagen und deren Entlassung in ein spontanes, krebsartiges Wuchern bewußt machte, ehe er erneut die Bebauung im Süden, den bereits am Horizont verschwindenden Kraken mit dem schwarzgeränderten, spiegelnden Auge betrachten konnte, mußte er das Steuer bedienen. Die Überlastung war von vier auf zwei gesunken, der komprimierte Sauerstoff schoß eisig brodelnd aus den Düsen, die Beine der Rakete fuhren, gespreizt wie bei einem Gliederfüßer, unterm Heck heraus, das Triebwerk spie, als sie auf festen Boden stießen, ein letztes Mal und verstummte.
       Die dreihundert Tonnen schwere Rakete schwang auf ihrem Gestell noch einige Male auf und nieder, dann stand sie endgültig still. Der Pilot spürte m den Eingeweiden eine andere Schwerkraft als bei einer Dezeleration, im schwächer werdenden Fauchen der Stoßdämpfer löste er die Gurte, ließ die Luft aus den Polstern des Raumanzugs und stand auf. Die Gurte glitten ihm mit ihren Klammern von Rücken und Brust. Der Analysator wies in der Luft keinerlei giftige Gase nach, der Druck betrug elfhundert Millibar. Da er jedoch den Helm aufbehalten sollte, schloß er die Sauerstoffmuffe an den eigenen Behälter an. Nach Ausschalten der Fernseher gingen die Kabinenlichter an. Tempe besah sich den mitgeführten Kram: Beiderseits des Sitzes standen schwere Container, die Räder hatten, damit man sie wie Schubkarren bewegen konnte. Harrach hatte voller Übereifer riesige Zahlen darauf gemalt, eine Eins und eine Zwei — als ob man sie verwechseln könnte. Sicherlich wurde Tempe von Harrach beneidet, aber dieser hatte es nie merken lassen. Er war ein guter Kamerad, und Tempe bedauerte, daß er ihn nicht bei sich hatte. Zu zweit wären sie mit der Aufgabe vielleicht besser fertig geworden. Lange vor diesem Flug, als nichts außer den von Lauger noch auf der EURYDIKE geäußerten Worten ihm die Gewißheit gegeben hatte, daß er die Quintaner sehen werde, war er der von GOD festgestellten Depression verfallen, hatte nach der Unterhaltung mit dem Arzt aber die Diagnose der Maschine verworfen. Er war nicht deprimiert gewesen, weil er die Verständigung mit den Quintanern von der Anlage her für sinnlos hielt, sondern weil sie sich in das Spiel um Kontakt mit der Gewalt als dem höchsten Trumpf eingelassen hatten. Er hatte diesen Gedanken für sich behalten, denn er wollte um jeden Preis die Quintaner sehen — wie hätte er dann bei allen Zweifeln und Vorbehalten seine so große Chance von sich aus mindern können? Arago hatte diese bereits in üblem Licht gesehen, ehe noch das Wort von der „Demonstration der Stärke“ gefallen war, er hatte die Heuchelei beim Namen genannt und immer wieder gesagt, sie selbst würden so gewaltsam auf Verständigung drängen, daß sie auf diese verzichten, sich hinter Masken und Finten verstecken würden, wodurch sie vielleicht sogar sicherer, aber desto weiter weg seien von der wirklichen Öffnung des Blicks auf eine „fremde Vernunft“. Deren Ausweichmanöver hatten sie abgefangen, gegen jede Verweigerung hatten sie losgeschlagen, und so war das Ziel der Expedition um so weniger erreichbar geworden, je brutaler die Schläge gewesen waren, die sie im Dienste dieses Ziels eingesetzt hatten.
       Tempe drückte die Taste zur Öffnung der Luke, mußte aber die Ergebnisse der automatischen Analysen abwarten. Während der Computer die eingehenden Daten über die chemische Beschaffenheit des Untergrunds, die Windstärke und die Radioaktivität in der Umgebung (praktisch gleich Null) durchkaute, trug der Pilot statt der einzelnen Etappen seines Programms all die schlimmen Gedanken im Kopf, die er bisher unterdrückt hatte. Nakamura teilte also die Ansicht des Ordensgeistlichen, trat aber nicht auf dessen Position über, weil diese dem Rückzug, der Umkehr gleichkam. Auch er selbst hatte Pater Arago recht gegeben und wußte dabei doch, daß kein Vernunftgrund ihn zurückhalten würde. War die Quinta die Hölle, so war er bereit, in die Hölle zu gehen, wenn er nur die Quintaner sah! Nach einer Höllenparty sah es vorläufig allerdings nicht aus.
       Wind neun Meter pro Sekunde, Sicht unter der Wolkendecke gut, keinerlei Giftstoffe, keine Minen oder Sprengladungen unter den ultraakustisch untersuchten Platten des Landeplatzes. Ein Zischen ließ sich vernehmen: Der draußen und in der Kabine herrschende
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