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Fiasko

Fiasko

Titel: Fiasko
Autoren: Stanislaw Lem
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Druck glichen sich aus. Über der Luke leuchteten drei grüne Lämpchen auf, der schwere Schild vollführte eine halbe Drehung und schnellte in die Höhe. Rasselnd ging das Fallreep nieder, krachend rasteten, als es schräg auf dem Beton stand, seine Verriegelungen ein.
       Tempe steckte den Kopf hinaus. Durch das Glas des Helms traf ihn grell das Tageslicht. Aus einer Höhe von vier Stockwerken überblickte er die große Fläche des Kosmodroms, das wieder unter bewölktem Himmel lag. Die Berge im Norden waren im Dunst verschwunden, in der Ferne entließ die lange Reihe der niedrigen Brunnenöffnungen braunen und rötlichen Qualm, und vor diesem Hintergrund stand ein gewaltiger schiefer Turm, noch stärker geneigt als der zu Pisa. Es war die Attrappe des HERMES, erstarrt, eine Meile entfernt, einsam und ungewöhnlich in dieser Ode. Kein lebendiges Wesen weit und breit. Ganz am Rand der Betonplatte, dort, wo sich hinter hängenden Wolken die Berge verbargen, stand ein niedriges, zylindrisches Gebäude, das einem Luftschiffhangar ähnelte. Aus seiner Silhouette reckten sich dünne Stäbe, die durch glitzernde Fäden verbunden waren und mit diesen zusammen ein Viertel des Gesichtskreises wie mit Spinnweben überzogen.
       Die krakenartige Metropole war mitsamt ihrem Auge hinter dem verqualmten Horizont verschwunden, und dem Piloten kam der Gedanke, daß er nun wohl von diesem Spinnennetz überwacht wurde. Aufmerksam spähte er vom Fallreep aus mit dem Fernrohr hinüber. Er war verblüfft von der Unregelmäßigkeit dieses Gespinsts. Es hing uneinheitlich herunter und bildete größere und kleinere Maschen wie ein altes Zugnetz, das ein Fischfang treibender Riese zum Trocknen aufgehängt hat. Die Masten waren von der eigenen Höhe und diesem Netz so überlastet, daß sie sich nach allen Seiten bogen. Ordentlich sah das nicht gerade aus. Das Kosmodrom überhaupt lag verödet wie ein Gebiet, das man evakuiert und dann dem Feind überlassen hat. Er schüttelte die ebenso abstoßende wie zudringliche Vorstellung von sich, statt einer Antennenanlage das Werk monströser Insekten zu betrachten, und stieg rückwärts die Leiter hinunter, gebeugt unter der Last des einen Containers, der fast einen Zentner wog. Er löste die Tragbänder, ließ den Behälter auf den Boden nieder und fuhr mit ihm geradewegs auf den HERMES zu, der schräg auf seinem zerschellten Heck saß.
       Gleichmäßig schritt der Pilot aus, zügig, aber ohne Hast, um seinen Beobachtern — er zweifelte nicht daran, daß er beobachtet wurde — auch nicht den kleinsten Vorwand zu bieten, der sie zu Mißtrauen veranlassen könnte. Sie wußten, daß er das Wrack untersuchen sollte, aber sie wußten nicht, auf welche Weise er es tun würde. Am Heck, dessen zerschellte Düsen sich in den strahlig geborstenen Beton gegraben hatten, blieb Tempe stehen und sah sich um. Durch den Helm hörte er das Heulen des böigen Windes, den er durch den Raumanzug allerdings kaum spürte. Das Piepen des Chronometers ließ ihn zur Sache kommen. Die Klappleiter aus Duraluminium erwies sich als überflüssig, denn gleich über den Düsenbuchsen, die zu einer gewaltigen Ziehharmonika zusammengepreßt waren, gähnte im Heck ein verrußtes Loch. Das Panzerblech bog sich in zungenförmigen Fetzen nach außen, ein ebenfalls durch die Explosion verkrümmter Spant des Rumpfes ragte als Stumpf hervor. Zur Not konnte man durch diese Öffnung hineinkriechen und mußte nur aufpassen, daß man sich an den stählernen Gräten nicht den Raumanzug aufriß.
       Tempe erklomm den Fuß einer Heckstütze, die bei der Landung nicht mehr ganz ausgefahren worden war, weil die anderen es so eilig gehabt hatten, das Feuer zu eröffnen, vernünftigerweise übrigens, denn ein Raumschiff ist eben dann am wehrlosesten, wenn das Haupttriebwerk abschaltet und sich die ganze Masse auf die ausgefahrenen Stützflossen senkt. Der Pilot zog den Container zu sich herauf und legte, so weit es ging, den Kopf ms Genick, um den Zustand des Rumpfes zu prüfen. Die Bugluken waren von hier unten nicht zu erkennen, sie waren ohnehin fest verschweißt, die Ladeluken jedoch sah er und wunderte sich, daß sie geschlossen und nicht aufgebrochen waren. Im Guten hätten sie sich von außen nämlich nicht öffnen lassen. Das überraschte ihn. Wie auch nicht — da war mit einem einzigen großkalibrigen Schuß die Maschine zerstört worden, das getroffene Raumschiff stand in dieser Schräglage, und man hatte es durch den
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