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Fiasko

Fiasko

Titel: Fiasko
Autoren: Stanislaw Lem
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unglaubhaft, daß Tempe das Gerät unwillkürlich schüttelte wie eine stehengebliebene Uhr. Dabei drehte er sich um, der Lauf des Biometers zeigte auf das durch den Regen nur undeutlich sichtbare Spinnennetz, der Zeiger fächerte weit aus, bei jedem Schwenk des Laufs zuckte er stärker. Der Pilot rannte zu seinem Fahrzeug, packte den Container hinter die Lehne, steckte den Biosensor in eine Klaue am Steuer und fuhr auf die Stelle zu, wo die Masten des Netzes ihr Fundament haben mußten.
       Es goß wie aus Zubern, die Räder wirbelten die Pfützen auf, so daß sie ihm in Sturzbächen über das Helmfenster rannen; er sah nichts und mußte doch immer den Biosensor im Auge behalten, dessen Zeiger schnelle Sprünge vollführte. Dem Zähler zufolge hatte er vier Meilen zurückgelegt und kam damit an die für die Erkundung zugelassene Grenze. Dennoch erhöhte er noch die Geschwindigkeit. Ohne das plötzlich aufleuchtende rote Warnlicht auf dem Armaturenbrett wäre er in einen tiefen Graben gestürzt, der von weitem wie eine schwarze Linie auf dem Flugfeld ausgesehen hatte. DK Räder blockierten bei dem scharfen Bremsen, das Fahrzeug geriet ins Schleudern und kam dann eben noch am Rande der zerbrochenen Platten zum Stehen. Der Fahrer stieg aus, um das Hindernis zu prüfen. Der Nebel erschwerte eine Abschätzung der Breite und schuf einen Anschein von Tiefe. Die befestigte Fläche endete in Betonbrocken, die zum Teil über den lehmigen Rand ragten. Der Graben, von ungleichmäßiger Breite, aber nirgends mit der Leiter aus Duraluminium zu übersteigen, mußte durch Sprengladungen geschaffen worden sein — kurz zuvor und in aller Eile, denn der Lehm war so zerklüftet und überhängend, daß er jeden Augenblick endgültig als Erdrutsch niedergehen konnte. Das gegenüberliegende Ufer, wo die Explosion die Gesteinstrümmer in den Ton getrieben hatte, stieg in einem breiten, nicht sehr steilen Hang an, und oben schien das Licht durch die Maschen des zum Himmel ragenden Spinngewebes. In beträchtlichen Abständen zueinander befanden sich drüben längs des Grabens die Ankerschächte der Stahlseile, die in der typischen Weise verspannt waren, so, wie stützenlose, auf Kugellager gebaute Antennenmasten in der Senkrechten gehalten werden. Den beiden nächstgelegenen Schächten hatte die Explosion die Verankerung mitsamt den Gegengewichten entrissen. Die Strippen hingen hilflos herunter, Tempe folgte ihnen mit dem Blick bis zum Schaft des Mastes, der bis in eine Höhe von mehreren Dutzend Metern teleskopartig ausgezogen war, in immer dünneren Segmenten, die sich oben bogen wie eine stark belastete Angelrute. Das Netz hatte dadurch nicht die nötige Spannung, und seine untersten Kabel schleiften fast auf dem Boden. So weit er durch den Dunst sehen konnte, war der Hang von Höckern überzogen, heller als Lehm, nicht wie die Hauben eingegrabener Flüssigkeits- oder Gasbehälter, sondern eher wie unregelmäßig ausgebauchte Maulwurfshügel oder bis zur Hälfte verscharrte Panzer riesiger Schildkröten. Die Hüte gigantischer Pilze? Erdbunker?
       Wind und Regen heulten durch die Maschen der losen Spinnweben. Tempe nahm den Biosensor aus dem Jeep und machte damit einen Schwenk über den Hang. Der Zeiger sprang ein ums andere Mal in den roten Sektor der Skala, ging zurück und schlug wieder voll aus, erregt vom Metabolismus nicht irgendwelcher Mikroben oder Ameisen, sondern dem von Elefanten oder Walen, die herdenweise auf dem geronnenen Strom des Hügels sitzen geblieben sein mußten.
       Bis zur Hundert fehlten noch siebenundvierzig Minuten. Zur Rakete zurückkehren und warten? Schade um die Zeit, vor allem aber um den Überraschungseffekt. Vage zeichneten sich in seinem Kopf noch Spielregeln ab: Die anderen hatten nicht angegriffen, sondern Hindernisse aufgebaut, damit er sich, falls es ihm besonders darauf ankam, das Genick brach.
       Es gab kein längeres Besinnen. In einem unsäglichen Empfinden, in dem der Wachzustand weniger Realität besaß als ein Traum, entnahm er dem Container die Geräte, die er brauchte, um ans andere Ufer zu kommen. Er legte die Rückstoßhalfter mit dem Schultergurtwerk an, steckte den Feldspaten ein und schnallte, nachdem er den Biosensor hineingestopft hatte, den Rucksack um. Da ein Versuch niemals schaden konnte, machte er zunächst von dem Raketenapparat Gebrauch, der ein Tergalseil herüberschießen sollte. Das Gerät mit dem linken Ellenbogen stützend, zielte er niedrig auf das
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