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Feuerwasser

Feuerwasser

Titel: Feuerwasser
Autoren: Paul Lascaux
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nach dem Genuss einer köstlichen Delikatesse.
    »Leitungswasser vom Breitenrain«, brummte Lucy.
    »Salzig-bittere Note, feinperlig, nervig am Gaumen«, urteilte Henry, dem die kräftige Kohlensäure beinahe die Speiseröhre verätzte. »Ein edler Tropfen aus Italien.« Er tat, als ob er von Prosecco redete.
    »Am besten soll das Wasser vom Glasbrunnen sein«, sagte Leonie, »vor allem das bei Vollmond abgefüllte.«
    »Dann sind Hexenfürze mit drin«, reklamierte Lucy.
    Wie auf Zuruf begann ein Donnergrollen. Baron Biber, der mit zunehmendem Alter immer ängstlicher wurde und immer noch unter der Nationalfeiertagspanik wegen des lauten Feuerwerks litt, verzog sich ins Katzenklo, das nie dem eigentlichen Zweck diente und deswegen in einer fensterlosen Abstellkammer stand.
    Der nächste Windstoß brachte ein asiatisches Glockenspiel zum Klingen, das lärmresistente Nachbarn an ihren Balkon gehängt hatten. Während der Durchschnittsdonner einem hellen Blitz in gebührendem Abstand mit einem deutlichen Knall oder auch mit einem grollenden Geräusch folgte, hörte sich das, was nun geschah, eher nach einem matten Dröhnen an, nach dem Bersten beträchtlicher Mengen himmlischer Watte, nach einem Schlag auf einen nassen Wollteppich. Dann setzte Regen in so dicken Tropfen ein, dass sich die drei Degustanten auf einen ruhigen Abend einstellen konnten.
    »Will sich wieder mal nicht entscheiden«, moserte Lucy. »Die Navajos lieben den männlichen Regen mit Blitz und Donner, Überschwemmungen und urtümlicher, zerstörerischer Kraft. Die Hopi hingegen schätzen den weiblichen Regen, der das Mais wachsen und das Gras grünen lässt.« 1
    Als absehbar war, dass die Degustation keinen in Verzückung versetzen würde, ging Leonie zur Kaffeemaschine und füllte den Wassertank auf, das frische Wasser über das von gestern. Es war wie eine Essigmutter oder ein Sauerteig, seit 200 Jahren gepflegt und immer noch mit einer Spur vom allerersten Ansetzen.
    »Das schönste Wasser«, sagte sie dann, »sind überhaupt die Tränen am Ende eines romantischen Films. Macht euch ein bisschen frisch, ich koch nachher was, wir gönnen uns einen gemütlichen Abend, und ihr erzählt von eurem Verhör.«
    Henry stieg mit Leonie nach oben, denn sie wollte ihm ihr fertig renoviertes Badezimmer mit den portugiesischen Azulejo-Fliesen in Azurblau zeigen.
    Als er sich die Hände wusch und den Mischhebel anhob, floss das saubere Wasser aus dem Hahn – jedes Mal für ihn wieder ein Wunder, dass er es nicht draußen am Brunnen oder in einem weit entfernten Fluss holen musste. Dann drückte er auf den Seifenspender, der eine weiß-blaue Crème absonderte, die nach Pfefferminze roch und unangenehm schmierte.
    »Was machst du?«, fragte Leonie, die den Kopf durch den Türspalt schob. »Pass auf. Du hast die Zahnpasta erwischt.«
    Henry blickte fragend auf seine Hände, dann lachte er lauthals los. »Du hast Zahnpasta im Seifenspender?«, fragte er ungläubig.
    »Ja«, sagte Leonie trotzig. »Das ist doch viel praktischer, als sie ständig aus der Tube zu pressen.«
    »Aber das trocknet doch ein! Man kauft ja Zahnpasta auch, um Dübellöcher zu reparieren.«
    »Das machen vielleicht Männer. Wir Frauen handhaben das anders. Du musst nur schnell genug drücken.«

    Lucy war noch ein paar Minuten im Bauch & Kopf geblieben, denn sie hatte für ihre Sammlung eine Art Briefkasten aufgestellt, in den die Gäste Zettelchen mit auffälligen Namen werfen konnten. So war bereits in den ersten beiden Wochen eine ganze Menge zusammen gekommen. Sie fand einen Hausabwart namens Riegel , eine Kolumnistin Caramel Landsturm , wobei ihr der Name gefiel, sie aber in diesem Fall an seiner Echtheit zweifelte. Sie traf den Kirchenhistoriker Gregor Wurst . Elke Haltaufderheide , Gunther Malzacher und Rüdiger Kirschstein spielten vor 30 Jahren gemeinsam in »Rheingold«. Joachim Standfest war Verteidiger im österreichischen Fußball, Wolfgang Haas Liechtensteiner Erzbischof, Peter Gruß Präsident irgendeiner Gesellschaft, Gitta Trauernicht bekleidete das Amt der deutschen Atomministerin, ein Coiffeur hieß Straubhaar , ein Richter namens Pech musste eine Strafe aussprechen, ein Gastroenterologe nannte sich Peter Bauernfeind und ein Gynäkologe Niklaus D. Erb . Am meisten aber mochte sie den Menschen namens Reiner Unglaub , der die Luther-Bibel als Hörbuch eingelesen hatte.

    Der spätere Abend begann mit einem Schlehengeist aus der Pfalz, dessen Bittermandelaroma die Luft mit
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