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Feuersteins Reisen

Feuersteins Reisen

Titel: Feuersteins Reisen
Autoren: Herbert Feuerstein
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mit einem Dutzend zufriedener Kühe, und weiter draußen die Äcker, die im staubtrockenen Hochlandklima von Chihuahua unendlich viel Fleiß und Mühe abverlangen.
    Als wir kamen, hatte Frau Friesen eine große Schüssel auf dem Schoß und knetete Brotteig, »Zwieback«, wie man hier dazu sagt. Ihre beiden Töchter saßen in der Ecke und häkelten, im Käfig sang ein Vogel. Frau Friesen wollte mir die Hand nicht reichen, weil diese voller Teig war, also fragte ich, ob ich mitkneten dürfe, dann klebten wir vom gleichen Teig, und einem Händedruck stünde nichts mehr im Weg.
    Ich durfte. Gemeinsam formten wir das tägliche Brot, und ich sage es ohne Hochmut und Spott: Auf eine ganz merkwürdige Art war ich plötzlich zu Hause. In einem der vielen Leben, das ich hätte führen können.
    Frau Friesen war Witwe, schon seit vielen Jahren, und lebte allein mit den beiden Töchtern, beide schon über dreißig und damit ohne Hoffnung auf einen Ehemann aus den Reihen der Gemeindebrüder. »Sind beede viel zu old«, sagte Frau Friesen, und die Töchter zuckten resignierend mit den Schultern, obwohl ich mir einbilde, in den Augen der einen, die metallene Stiftzähne hatte wie der »Beißer« in einem der ersten James-Bond-Filme, einen Funken Hoffnung flackern zu sehen. Sah sie mich dabei an?
    Ich schwöre Ihnen, es war kein Funke Zynismus dabei, als ich nachzudenken begann, ernsthaft zu grübeln, ob ich mir nicht für mich selber so ein Leben vorstellen könnte, als Bruder Mennonit. Schon immer hatte ich diesen Hang zur Askese, zur mönchischen Disziplin. Oft habe ich mir ein früheres Leben als Pilgervater ausgemalt, als Wanderprediger oder als sittenstrenger Puritaner, als demütiger Dauerbüßer, allein schon von meinen ewigen Schuldgefühlen her. Wäre es nicht verlockend, die täglichen Zweifel einer selbstbestimmten Welt gegen eine vorgegebene Ordnung einzutauschen, sich in Demut und Gehorsam festen Regeln zu unterwerfen in einem Leben voller Einfachheit, Stille und Geborgenheit?
    Die keusche Frömmigkeit von Friesens Töchtern würde mich endgültig vom Stachel der Lust befreien, der mein Leben so oft in unnötige Unruhe versetzte; sie würde mir den Weg ebnen, für immer der Versuchung zu widerstehen und ins Traumland der inneren Vollendung zu gelangen. Ich könnte sie bedenkenlos beide heiraten, und Frau Friesen noch dazu, und würde dadurch nur noch reiner werden.
    Ich müsste nur glauben können. Die anderen Eigenschaften hätte ich alle. Wirklich zu blöd.

Mord: Die Ausführung

    »Montezumas Rache« heißt der berüchtigte mexikanische Touristen-Durchfall. Ich nehme an, dass es die Rache für den ewig falsch ausgesprochenen Namen ist, denn der letzte Aztekenherrscher aus der Wende zum 16. Jahrhundert hieß nicht Montezuma, sondern Moctezuma, mit einem C als drittem Buchstaben. Da ich aber seinen Namen stets korrekt aussprach, hatte ich in all unseren 14 Drehtagen zu keiner Zeit Durchfall. Auch Stephan und Erik nicht. Und Wolpers sowieso nicht, aber das hat einen ganz anderen Grund: Wer so viel Scheiße macht, kann nicht auch noch Durchfall haben.
    Moctezuma mochte zwar furchtbar in seiner Rache und göttergleich in seiner Herrschaft gewesen sein, historisch gesehen war er ein Dummerle. Wie hätte er sonst sein blühendes Großreich, bewacht von 60 000 schwer bewaffneten Kriegern, an 500 spanische Raufbolde und ihren Räuberhauptmann Hernan Cortes verlieren können? Es war wieder einmal nichts als ein Missverständnis: Moctezuma hielt den 34-jährigen Abenteurer für den gefiederten Schlangengott Quetzalcoatl, der schon vor Jahrhunderten seine Rückkehr auf Erden angekündigt hatte, und übergab ihm sein Land gewissermaßen auf dem Tablett.
    Ich habe mir immer wieder die Skulpturen, Reliefs und Keramikbilder des Gottes Quetzalcoatl angesehen, um das Missverständnis zu begreifen: Tierköpfe, Monstergestalten mit Fangzähnen und rollenden Augen, Dämonen mit hechelnder Zunge, Feuer speiende Drachen, vielleicht der eine oder andere Gesichtszug von Wolpers, aber nichts Menschenähnliches in den grausamen Fratzen. Wie konnte bloß diese Verwechslung passieren? Oder war Moctezuma extrem kurzsichtig, und niemand wagte es ihm zu sagen? Weil er ein Gott war? Mir sagt man ja auch nichts, wenn ich vergessen habe, den Reißverschluss der Hose zu schließen.
    Zu Moctezumas Tagen war die Sonnenpyramide von Teotihuacan bereits weit über tausend Jahre alt, inmitten eines Ruinenfelds. Die Azteken, die diese Gegend nach mehreren
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