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Feuersteins Reisen

Feuersteins Reisen

Titel: Feuersteins Reisen
Autoren: Herbert Feuerstein
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moralisches Dilemma für mich, denn im Zweifelsfall hat man sich für die Menschen zu entscheiden. Und es sind wirklich sehr arme Menschen, die von diesen Leguanen leben, vom Verkauf ebenso wie vom Verzehr. Dass die Tiere besonders niedlich sind, kann ich als Schonungsgrund nicht gelten lassen. Soll Schönheit das Kriterium fürs Überleben sein? Da müsste ich mich schon aus eigenem Interesse heftig dagegen wehren.
    Trotzdem war mir klar, dass ich beim Leguan-Schlachten nicht mitmachen könnte. Der buddhistische Heuchelmönch in mir würde keinen einzigen Löffel dieser Suppe runterkriegen. Also verwandelten wir die Scharfrichterstätte in ein Begnadigungstribunal: Ich kaufte jenen Leguan, der meinem Gefühl nach die Freiheit am nötigsten hatte, und trug ihn ins Auto. Ihn an Ort und Stelle freizulassen, hätte sein Leben nur wenige Minuten verlängert. Zwar sind die Tiere flink wie die Wiesel und können sich blitzschnell in den Sand graben, aber die Kinder sind gescheiter und wissen genau, wie man so ein Tier austricksen kann.
    Wir fuhren etwa zehn Kilometer in einen Buschwald. Dort löste ich seine Fesseln und schnitt mit meiner Nagelschere die Fäden durch, mit denen das Maul zugenäht war. Der Leguan zögerte ein paar Sekunden, fauchte mich noch einmal an und lief dann weg. Ein bisschen wie bei einer Scheidung.
    Und damit kommen wir zum Thema Stierkampf, den man ja ruhig auch mal von der gastronomischen Seite betrachten kann. Denn letzten Endes ist er nichts anderes als eine rituelle Schlachtung; das Fleisch wird nach alter Sitte den Armen gegeben. Und nach neuer Sitte dem Metzger.
    Warum es Leute gibt, die sich so schrecklich über den Stierkampf empören können, ist mir schleierhaft. Da gibt es doch wahrhaft Schlimmeres, das man vorrangig abschaffen müsste: die Viehtransporte, die Legebatterien, die Fließband-Schlachthöfe, die oft so übertriebenen Massenexekutionen beim geringsten Seuchenverdacht. Im Vergleich dazu ist das Leben der Kampfstiere geradezu ein Paradies. Bis zum großen Tag leben sie in üppiger Freiheit, und wenn es dann so weit ist, beenden sie ihr Leben nicht in Angst und Dreck, sondern in Wut und Würde. Wie viele Millionen Hähnchen würden alles dafür geben, statt durch Köpfautomaten aufrecht in der Arena sterben zu dürfen, umtost von den jubelnden Massen. Ganz abgesehen davon, dass für das gewöhnliche Schlachttier der Tod unausweichlich ist, während der besonders tapfere Kampfstier zum indultando werden kann, zum Begnadigten mit lebenslanger Rente aus Frischgras und Weizenschrot.
    In Mexiko hat der Stierkampf einen fast noch höheren Stellenwert als in Spanien, und Mexiko-Stadt besitzt die größte Stierkampfarena der Welt mit 60 000 Plätzen. Dort drinnen zu stehen, in der Arena der Plaza de toros, noch dazu im originalen Torero-Kostüm, die rotgelbe capa schwingend, war schon ein verdammt starkes Gefühl. Auch wenn die 60 000 Plätze leer waren.
    Señor Juan Discareño, mein Führer und Torero-Experte für die Stierkampf-Szenen, war ein ehemaliger Matador, kampferfahren aus unzähligen Corridas. Wobei es wichtig ist, den Unterschied zu kennen: Torero darf sich jeder nennen, der im Ring mit dem Stier zu tun hat, aber Matador ist nur der, der ihn tötet. Im tercio, dem dritten Teil der Corrida. 16 Minuten hat er dafür Zeit.
    Meine erste Frage an Señor Discareño war zwar die banalste und am häufigsten gestellte, aber wohl auch die wichtigste: »Wie bezwingt man die Angst, wenn man in der Arena steht und dieses tonnenschwere Biest auf einen zu rast?« Seine Antwort war verblüffend einfach: »Ich stelle mir vor, es ist zwei Stunden später und ich liege schon zu Hause im Bett.«
    Ich habe mir diesen Satz gemerkt. Er bewahrt mich seither nicht nur vor Lampenfieber jeder Art, sondern lindert auch die Angst vor dem Zahnarzt oder die Langeweile bei einem Pflichtbesuch. Und wenn er mal nicht helfen kann, weil die Krise zu heftig ist, stelle ich mir einfach vor, es ist zehn Jahre später und ich bin schon tot.
    Die Angst ist aber nicht das einzige Problem für den neuen Torero. Ein weiteres, viel schwierigeres, ist die Hose.
    Señor Discareño hatte ein Original-Torerokostüm in meiner Größe mitgebracht. Er erklärte mir ausführlich Name und Zweck jedes Kleidungsstücks, aber weil Señora Constanza im Männerklo der Stierpfleger, wo ich mich umzog, keinen Zutritt hatte, kauderwelschten wir in hispanolischem Englisch, und ich kapierte so gut wie nichts. Das Einzige, was ich mir
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