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Feuersteins Reisen

Feuersteins Reisen

Titel: Feuersteins Reisen
Autoren: Herbert Feuerstein
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sind schwer zu zählen, weil sie sich unserer Zivilisation verweigern und ihre Kinder nicht mal dann in die Schule schicken würden, wenn es hier Schulen gäbe. Sie wohnen in kleinsten Familiengruppen hoch in den schwer zugänglichen Felsen, weit verstreut, so dass man bei Besuch seines Nachbarn schon mal 500 Meter runter- und 1000 Meter wieder raufklettern muss.
    Das Leben in der Höhenlage von 2000 Metern hat ihr Herz-Lungen-System über die Jahrtausende der verringerten Sauerstoffzufuhr so perfekt angepasst, dass sie, ähnlich den Hochland-Kenianern, zu den ausdauerndsten Langstreckenläufern der Welt gehören. So nennen sie sich auch selber: Raramuri, die Läufer, und mit Sicherheit wären sie im Besitz aller Meisterschaftstitel der Welt, gäbe es da nicht ein kleines Problem: Gut 200 geheimnisvolle »Heilpflanzen« gehören zu ihrer Fitness-Tradition, darunter viel Illegales wie Cannabis-Hanf, Opium-Schlafmohn und der halluzinogene Peyote-Kaktus. Das alles genießen sie regelmäßig, heftig und gemeinsam mit viel Alkohol, so dass die Geräte zur Doping-Kontrolle schon klingeln, wenn ein Tarahumara noch unten im Flur steht. Es ist deshalb schon ziemlich lange her, dass einer von ihnen einen offiziellen Titel gewann: Das war 1928, in der Vor-Doping-Zeit, beim Marathon bei der Olympiade in Amsterdam. Angeblich verpasste er jedoch die Siegerehrung, weil er gar nicht gemerkt hatte, dass er schon im Ziel war, und noch ein paar Dutzend Kilometer weiterrannte...
    Die Idee war, dass ich mit so einem Tarahumara um die Wette laufen würde, nach den einheimischen Regeln: Man schubst über eine vereinbarte Strecke mit dem Fuß eine Steinkugel vor sich her und rennt ihr dann nach. Wer gewinnt, kriegt vom Verlierer Stoff und Suff spendiert.
    Señora Constanza suchte den Gegner für mich aus: einen freundlichen Alten, der in Erwartung des sicheren Sieges den Preis schon vorweggenommen hatte, bekifft bis über die Ohren, mit meterlanger Alkoholfahne.
    Natürlich kam es, wie es kommen musste: Leichtfüßig hüpfte er über Stock und Stein, rannte die Steilpfade hoch und sprang über Abgründe, während ich mit kochendem Hirn und hängender Zunge hinterherkroch. Wolpers strahlte bei diesem Anblick, und weil ich eine so armselige Figur machte und so jämmerlich verlor, gab es hier auch kein Problem mit der Kulturfalle. Die Lacher gingen alle eindeutig auf meine Kosten. Dass der Typ völlig zugedröhnt war, ist erstaunlicherweise im Film gar nicht zu bemerken.
    Das wahre Wunder dieser Begegnung war aber für mich nicht seine Laufkunst, seine Ausdauer oder sein Fassungsvermögen für Alkohol, sondern was ganz anderes: Da lehnte nämlich an der Wand seiner Hütte ein Fahrrad. Ein neues, chromglänzendes, richtiges Fahrrad.
    In der Barranca del Cobre ist ein Fahrrad so nützlich wie ein Ferrari auf Helgoland. Die Landschaft ist steil und zerklüftet, mit Schwindel erregenden Saumpfaden, zu eng für ein Maultier. Manchmal besteht der Weg nur aus eingehauenen Stufen im Fels, und immer wieder sind gewaltige Höhenunterschiede zu überwinden. Würden Sie auf halber Höhe der Eiger-Nordwand mit dem Fahrrad fahren?
    Das Gespräch mit meinem Läufer-Rivalen war sehr schwierig, weil er so gut wie nie antwortete. Trotzdem bat ich Constanza, ihn noch mal ganz eindringlich zu fragen, warum er hier dieses Fahrrad hätte. Aber er sah mich nur tief und lange an, schwang sich dann in seine Hängematte und schlief ein.
    Vielleicht sollte man es doch mal auf Helgoland mit einem Ferrari versuchen.

Der Hühner-Matador

    Mit Tieren komme ich gut zurecht. Auf die Frage, warum das so sei, antworte ich immer: »Weil ich selber eins bin.« Darauf gibt es meist einen Lacher, aber eigentlich meine ich das ernst. Gleich bei der ersten Annäherung versuche ich nämlich, mich in das Tier hineinzudenken. Ich bemühe mich, seine Erwartungen zu spüren, vielleicht auch seine Ängste, und entsprechend zu reagieren. Aus Erfahrung habe ich gelernt, dass es das Beste ist, gar nichts zu tun und die Initiative dem Tier zu überlassen. Ich setze mich — sofern das nicht gefährlich ist — einfach daneben und warte, was passiert. Irgendwann passiert immer was.
    Zum Beispiel mit dem Esel in der Schlussszene. Mit ihm im Bild wollte ich ein paar Abschiedsworte aufsagen und dann in die Landschaft reiten, aber dem Vieh gefiel das überhaupt nicht. Es lief aus dem Bild, schubste mich weg oder zeigte nur seinen Hintern. Also setzte ich mich auf den Boden und kaute an einem
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