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Feuersteins Reisen

Feuersteins Reisen

Titel: Feuersteins Reisen
Autoren: Herbert Feuerstein
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nur, sie griffen ein, sie untersuchten, sie veränderten, legten Spuren. Natürlich gäbe es auch ohne sie den Amazonas, die Quellen des Nil oder den Südpol, aber das alles wäre doch ein bisschen anders, der Amazonas vielleicht weniger breit, dafür tiefer, das afrikanische Becken weniger tief, dafür breiter, und die Pole sind sowieso dauernd am Wandern, vielleicht irritiert durch Amundsen. Untersuchen heißt nun mal verändern, schon das Wahrnehmen hat den Keim der Veränderung in sich, Aristoteles hat’s geahnt, Heisenberg bestätigt. Die Geschichtsschreibung ist kein Öko-Tourismus.
    Ich wurde trotzdem kein Geschichtsschreiber. Und auch kein Entdecker. Zwar ging ich als Vierzehnjähriger erstmals allein auf eine große Reise und entdeckte dabei die bisher verschollenen Städte Linz und Regensburg, aber auf Dauer wäre mir das doch zu verantwortungsvoll. Stellen Sie sich vor, ich hätte Villach entdeckt, oder gar St. Moritz — es gibt eben Städte, die gehören vergessen. Stattdessen bin ich, gezwungen von der rastlosen Neugier des Renaissance-Menschen in mir, zu einem Überprüfer geworden, zu einem Nachschauer, gerne auch Nachvollzieher. Auch das ist durchaus im Geiste von Humboldt, Livingstone oder Amundsen, wenn auch nicht ganz so konsequent. Denn bei Regenwetter bleibe ich lieber im Hotel.

ALASKA

MORD:
    Der erste Versuch

    Bis in unser Jahrhundert hinein war es üblich, dass man auf größeren Reisen Fabelwesen begegnete, Einhörnern, Menschen mit zwei Köpfen oder jodelnden Fischen. Heute ist alles belegt und nachprüfbar, da kann man nicht mehr flunkern. Deshalb ist es die absolute Wahrheit, wenn ich Ihnen sage: In Alaska gibt es Moskitos, die so groß sind wie Hunde.
    Na schön, nicht ganz so groß. Aber es gibt ja auch ziemlich kleine Hunde. Auf alle Fälle sind die Stechmücken in Alaska größer als bei uns die Fliegen, mindestens aber gleich groß. Mit enormen Stechrüsseln. Wegen ihrer gewaltigen Verbreitung gelten sie als das »heimliche Wappentier Alaskas«, und es gibt Gegenden, die ohne Gesichts schütz unpassierbar sind, wenn die riesigen Ungeheuer nachmittags in dicken, ekligen Schwärmen einfallen. Sie bestimmen sogar das Leben der großen Tierherden: Die Karibus, Alaskas Rentiere, würden im Sommer liebend gern noch ein Weilchen im Süden bleiben, wo die Gräser lang und saftig sind, aber Milliarden Blutsauger zwingen sie, nach Norden zu wandern, bis weit über den Polarkreis, immer der Schneeschmelze nach, weil es den Mücken dort zu kalt ist.
    Ich lernte die Moskitos am ersten Drehtag kennen, gleich nach meiner Ankunft, als Teil eines Mordkomplotts meines Teams. Es war ein primitives Komplott, von vornherein zum Scheitern verurteilt, aber wir waren ja erst am Anfang der ersten Reise. Spätere Anschläge auf mein Leben sollten weitaus raffinierter und gefährlicher verlaufen, dieser hier war einfach nur plump: Mein Team wollte mich von Moskitos totstechen lassen. Weil die Kerle selber zu feig sind.
    Godehard Wolpers, Regisseur und Produzent, Stephan Simon, der Kameramann, und Erik Theisen, der Assistent und Tonmann, waren bereits am Vortag in Anchorage angekommen (warum mir das Team vorausfliegt, erzähle ich später — an dieser Stelle wissen Sie noch zu wenig über unsere Arbeit, da würde mich das nur in ein schlechtes Licht rücken). Sie hatten im so genannten »Earthquake Park« zu drehen begonnen, Landschaftsaufnahmen, wie man sie als Schnittbilder zwischendurch immer zu brauchen glaubt, aber dann doch nie verwendet. Dieser Park ist eine Art Freilichtdenkmal der Erdbebenkatastrophe von 1964, eines Bebens der Stärke 8,4 auf der Richterskala, des schwersten, das in Nordamerika jemals gemessen wurde. Man hat dort nichts verändert, die Verwerfungen sind dramatisch sichtbar, meterhoch flog der Boden damals auf und ab. Es ist eine dicht bewachsene Gegend, sumpfig-feucht, da es gerade ausgiebig geregnet hatte — und mit Mückenschwärmen so dick wie Gewitterwolken. Dort hatten sie also gedreht, am Tag vor meiner Ankunft. Nur ein paar Minuten freilich, dann hatten sie fluchend und kratzend die Flucht ergriffen.
    Am nächsten Tag holten sie mich am Flugplatz ab. In heuchlerischer Freundlichkeit standen sie Spalier. Sie sahen glänzend aus — warum, wurde mir erst hinterher klar: Sie hatten sich zentimeterdick mit Mückenschutzcreme eingeschmiert. Und so ganz nebenbei schlugen sie vor: Zwischen Flugplatz und Hotel liegt doch der Earthquake Park, das könne man ausnützen und dort ein
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