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Feuersteins Reisen

Feuersteins Reisen

Titel: Feuersteins Reisen
Autoren: Herbert Feuerstein
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bisschen drehen, sicher würde mir ganz spontan was Gutes einfallen, das sei ja meine Stärke, und so weiter, die übliche Schmeichelei des feigen Attentäters, Brutus im O-Ton. In ihren Augen funkelte die Mordlust, aber das wusste ich noch nicht.
    Widerwillig — meine Grundhaltung vor jedem Dreh — stimmte ich zu.
    Im üblichen Gänsemarsch zogen wir durch das Gelände, Wolpers mit dem Stativ voraus, dann Erik mit dem Rest der Ausrüstung, Stephan mit der Kamera, und als letzter immer ich, in einigem Abstand, damit es nicht so auffällt, dass ich nichts trage. Das Stativ ist ziemlich schwer, aber Wolpers ist zäh und besteht darauf, als Erster zu gehen, denn er ist ja auch der Regisseur und bestimmt den Drehort, der aber von Stephan jedesmal abgelehnt wird, und zwar grundsätzlich. Kameraleute haben nun mal ihre eigene Optik, und Stephan seine ganz besondere dazu. Man kann ihm auch schwer widersprechen, er ist ein erfahrener Reporter, standfest selbst im dichtesten Tumult. Mit dem Sucher am Auge ist er absolut trittsicher, springt über Gräben, geht an Felskanten entlang und betrachtet Verbotsschilder, Stacheldrahtzäune oder Minenfelder geradezu als persönliche Einladung. Wenn ich Stephan aus den Augen verloren habe und den Kamerastandplatz suche, brauche ich nur dorthin zu schauen, wo unmöglich jemand sein kann. Da finde ich ihn: auf einem Baumwipfel über dem Dorfplatz, vor dem Hochaltar zwischen Papst und der Heiligen Jungfrau oder rittlings auf dem Stier, wenn der Torero zum Todesstich ansetzt. Er ist mit der Kamera geradezu verwachsen — und das ist auch sein Problem. Denn er vergisst dabei, dass er Körperteile hat, die über den Kamerarand hinausragen. Und so rammt er mit dem Kopf ständig Felsen oder Dachbalken und beschädigt mit den Schultern Türrahmen. Kameratechnisch ist das kein Problem, denn er ist ein Profi und federt die Stöße geschickt ab, so dass im Bild nur ein minimaler Ruck zu sehen ist, wenn überhaupt etwas. Aber leider stößt er jedesmal einen Schmerzensschrei aus, und zwar direkt in das Kameramikrofon, mit dem er ja ebenfalls verwachsen ist. Meist »aua«, oft »uh«, manchmal nur Seufzen und Stöhnen oder, wenn er sich länger im Stacheldraht verfangen hat, ein leises, anhaltendes Schluchzen. Der größte Teil der Nachbearbeitungszeit im Tonstudio besteht daher aus der Beseitigung von Stephans Jammerlauten. Da Wolpers aber noch nie einen Einwand dagegen erhoben hat, vermute ich, dass er die Schreie sammelt und an Pornoproduzenten verkauft, als besonders geilen Effekt bei SM-Filmen.
    Und dann kamen sie, die Mücken, aber ganz anders, als die Mörderclique erwartet hatte: erstens weit weniger als am Vortag (es war trockener geworden), zweitens lange nicht so bösartig (ich habe einen beruhigenden Einfluss auf Tiere), und drittens stürzten sie sich alle auf Wolpers, trotz Mük-kencreme, Autanspray und Asbest-Unterwäsche. Das war eine wichtige Erkenntnis: Wolpers wirkt so anziehend auf Mücken wie ich auf Frauen — eine Erkenntnis, die uns auf den späteren Reisen sehr zugute kommen würde, denn mit Wolpers im Gepäck brauchten wir anderen weder Mückenschutz noch Malaria-Prophylaxe. Und ich werde nie die Szene im Regenwald von Hawaii vergessen, als Wolpers von Mücken so dicht überzogen war, dass wir ihn für ein Stück Abfallholz hielten und fürs Lagerfeuer anzünden wollten. Oder mein Experiment am afrikanischen Äquator, als ich testete, was Moskitos attraktiver finden: ein Stück Limburger Käse oder die Füße von Wolpers. *
    Der Anschlag war also kläglich gescheitert. Der Dreh wurde abermals abgebrochen und zum zweiten Mal flüchtete das Team kratzend und fluchend ins Hotel. Nur ich hatte keinen einzigen Stich abbekommen. Na ja, ein paar vielleicht schon, aber ganz wenige. Und sie juckten nicht.
    Also gut, ich habe gelogen. Ich war ebenfalls total zerstochen, und vier Tage lang hat es gejuckt wie Sau. Aber das verschwieg ich natürlich, den Triumph hätte ich den Kerlen niemals gegönnt. Und übrigens, wenn wir schon bei der Wahrheit sind: Die Moskitos von Alaska sind etwas kleiner als Fliegen, aber doch um einiges größer als unsere einheimischen Stechmücken.

Der Atem des Lebens

    Die Hauptfrage, der sich jeder Polarkreis-Besucher nach seiner Rückkehr stellen muss, lautet: »Stimmt es, dass die Eskimos beim Küssen die Nasen aneinanderreiben?« Ungebildete stellen diese Frage schon am Flughafen, Gebildete nach dem zweiten Drink, Akademikerinnen später im
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