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Feuersteins Reisen

Feuersteins Reisen

Titel: Feuersteins Reisen
Autoren: Herbert Feuerstein
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Bett.
    Nein, es stimmt nicht. Aus zwei Gründen: Weil das Thermometer hier recht häufig auf minus dreißig Grad oder weniger sinkt, würden Nasenreibende beim geringsten Schnupfen sofort aneinander festfrieren und qualvoll sterben. Außerdem gibt es gar keine Eskimos, die heißen nämlich Inuit. »Eskimo« ist ein Schimpfwort, bedeutet so viel wie »Rohfischfresser« und löst beim Angesprochenen die gleichen Gefühle aus, wie wenn man zu einem Schwarzen »Nigger« sagt oder (als Schwarzer) zu einem Weißen »Kurzpimmel«... wobei es mich immer wieder fasziniert, wie leicht man doch ethnische Diskriminierungen durch simple Umbenennungen aus der Welt schaffen konnte: Es gibt keine Eskimos mehr, es gibt keine Zigeuner mehr, und deshalb kann man ihnen auch nicht schaden, egal wie man mit ihnen umgeht. Ob man auch den Juden einen anderen Namen geben sollte, um den Antisemitismus abzuschaffen?
    Die Menschen dort heißen also Inuit. Und den Inuit ist die Sitte des Nasenreibens unbekannt, so einfach ist das. Aber ganz so einfach ist das auch wieder nicht, denn dahinter steckt ein wahrer Kern, wie so oft bei missverstandenen »Sitten und Bräuchen der Naturvölker«. Der allererste Forscher, der zu einer bisher unbekannten Gruppe vordrang, brauchte ja nur kurzsichtig gewesen zu sein oder müde, oder er interpretierte sein persönliches Sex-Problem mit hinein — und schon schuf er mit seinem Fehlurteil eine Legende für alle Ewigkeit. Unter dem Gesichtspunkt der Ethnologen könnte man auch unseren Fußball mühelos als Fruchtbarkeitsritus deuten, oder Naseputzen als magischen Akt der Teufelsaustreibung.
    Das angebliche Nasenreiben der Inuit ist höchstwahrscheinlich eine Missdeutung ihrer ganz bestimmten Art rituellen Singens, »Katajjak«, des Kehlkopfgesangs: Zwei Männer stehen sich so nah gegenüber, dass sich fast ihre Lippen berühren; in rascher Folge keuchen sie die eigene Luft aus und atmen die des anderen ein. Durch Hyperventilation und Übersättigung durch Kohlendioxid geraten sie allmählich in einen tranceähnlichen Zustand, vielleicht auch durch Mundgeruch. Dabei stoßen sie kehlige Laute aus, die wie die Geräuschkulisse zu Thomas Manns Zauberberg klingen, aber von höflichen Ethnologen als Musik betrachtet werden. Was also auf den flüchtigen Betrachter wie das Nasenreiben zweier grunzender Schwuchteln wirkt, ist in Wahrheit kulturelles Erbe. Nur Jodeln ist grässlicher.
    Gewöhnlich geht einem Reisefilm ein umfangreiches Recherche-Papier voraus, so an die fünfzig Seiten mit Reiseroute, Logistik und Hintergrundinformationen, eine Arbeit von gut sechs Wochen. Für Alaska war Doris Maaßen zuständig, in enger Zusammenarbeit mit Produzent Wolpers und der Aufnahmeleitung vor Ort, denn es wäre sinnlos, einen Aufnahmeleiter aus Deutschland mitzuschleppen, der würde noch mehr Schaden anrichten als der Produzent; dazu braucht man unbedingt einen versierten Ortskundigen, allein schon wegen des Behörden-, Hotel- und Flugbuchungskrams.
    An diesem Recherchen-Stadium bin ich grundsätzlich nicht beteiligt, aus mehreren Gründen: Erstens soll das Ziel ja nicht das Abfilmen einer touristischen Expedition sein, sondern das Spiegelbild meiner Art des Reisens: neugierig und spontan, mit möglichst vielen Begegnungen, aber keine Lehrstunde in Geografie und Geschichte, so wie dies auch für meine privaten Reisen gilt; ich trete sie immer unvorbereitet an, Reiseführer lese ich erst vor Ort oder hinterher. Zweitens ist es sinnvoll, die Route von so wenigen Leuten wie möglich gestalten zu lassen — es ist schwierig genug, ein Land in vierzehn Tagen, dem Maximum unseres Budgets, auch nur einigermaßen in den Griff zu kriegen, jeder Zusatzwunsch, jede Zusatzmeinung ist auch eine Zusatzkomplikation. Drittens, der Hauptgrund: Wenn ich an der Vorbereitung mitgearbeitet hätte, könnte ich unterwegs dann nicht mehrmals am Tag jammern, dass die Recherche wieder mal Scheiße sei, mit absolut nichts drin, was man gebrauchen könne.
    Bei Alaska war dies ein bisschen anders, da hatten wir zusätzlich zu den üblichen Vorbereitungen einen Experten engagiert, einen Inuit-Forscher, denn es war ja unsere erste Reise, und wir hatten keine Ahnung, wie man so was ange-hen muss. Da hielt es der Produzent für nützlich und wichtig, uns vor der Begegnung mit einer so fremdartigen, hochkomplexen Kultur von einem Fachmann beraten zu lassen. Als Beispiel nannte er ganz aufgeregt zwei Bräuche, von denen sogar er schon mal gehört hatte: das
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